BETäUBUNGSMITTELRECHT
Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung aus Notstand?
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Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung kann aus Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein
Dies hat der 3.Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden, jedoch an das Vorliegen einer Straffreiheit strenge Anforderungen geknüpft.
Der 44-jährige Angeklagte leidet als Folge einer Mitte der 80-er Jahre bei ihm aufgetretenen Multiplen-Sklerose-Erkrankung an einer Ataxie, welche zu einer Störung seiner Grob- und Feinmotorik, seines freien Gangs, des Standes sowie des Sprachvermögens führt. Diese Ataxie ist nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht behandelbar. Zur Linderung seiner Beeinträchtigungen nimmt der Angeklagte seit 1987 Haschisch und Marihuana vornehmlich in Form von „Joints“ zu sich, wobei er u.a. Hanfstauden in einer Zwischendecke in seinem Wohnzimmer selbst aufgezogen hat.
Wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - insgesamt wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung im Februar 2002 bei ihm 381,99 Gramm Marihuana sichergestellt - erhob die Staatsanwaltschaft Mannheim deshalb im Juli 2002 Anklage zum Amtsgericht Mannheim, welches den Angeklagten im Mai 2003 vom Vorwurf eines strafrechtlichen relevanten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz freisprach. Nach Ansicht des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht. Zwar sei der Besitz von Betäubungsmitteln nach dem BtmG verboten, der Angeklagte könne sich jedoch auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes (§ 34 StGB) berufen, weil die bei ihm vorliegende Ataxie nicht anders behandelbar sei und sein Interesse, ein annährend erträgliches Dasein zu führen, die Belange des Staates am Verbot von Betäubungsmitteln überwiege.
Die hiergegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hatte nun - zumindest vorläufig - Erfolg. Zwar teilt der 3.Strafsenat die Ansicht, dass eine Rechtfertigung nach § 34 StGB grundsätzlich in Betracht kommt, wenn Betäubungsmittel zur Abwendung schwerer Gesundheitsbeeinträchtigungen eingenommen werden, der Senat hat jedoch das Verfahren zur weiteren Sachaufklärung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Rechtfertigungsgrund des Notstandes setze nämlich neben dem Vorliegen einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahrenlage für ein anerkanntes Rechtsgut, wie etwa Leib und Leben, voraus, dass sich das zur Gefahrenabwehr eingesetzte Mittel (hier: die Einnahme von Cannabis) überhaupt zur Gefahrenabwehr eigne und kein milderes Mittel zur Verfügung stehe. Dabei sei für die Annahme einer solchen Eignung zwar nicht erforderlich, dass dieses Mittel die Gefahrenlage sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließe, vielmehr reiche es aus, dass die erfolgreiche Abwendung des Schadens nicht ganz unwahrscheinlich sei. Aber auch solche Feststellungen enthalte das angefochtene Urteil, welches nur in der Wissenschaft diskutierte Einzelfälle anführe, nicht in ausreichendem Umfang, so dass offen bleibe, ob von der Einnahme von Cannabis überhaupt ein die Koordinationsstörungen des Angeklagten nicht nur unerheblich lindernder Effekt ausgehe.
Auch erfordere eine Rechtfertigung aus Notstandsgesichtspunkten, dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse (Leib und Leben des Angeklagten) das beeinträchtigte (Gesundheit der Bevölkerung) wesentlich überwiege. Auch insoweit seien die Feststellungen im angegriffenen Urteil aber lückenhaft, weil unklar bleibe, welche Beeinträchtigungen in den einzelnen Funktionsbereichen beim Angeklagten konkret vorlägen und welches Ausmaß diese erreichten. So bleibe insbesondere offen, ob ein unmittelbar vor der Hauptverhandlung erlittener Sturz des Angeklagten auf dessen Erkrankung an Ataxie zurückzuführen sei.
Das Amtsgericht muss deshalb erneut eine Hauptverhandlung durchführen und dort das Ausmaß der Erkrankung des Angeklagten und das Vorliegen einer Rechtfertigung aus Notstandsgesichtspunkten prüfen.
Ein Termin hierfür steht noch nicht fest.
Einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Verteidigers des Angeklagten, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorzulegen, da das generelle Verbot des Anbaus und des Besitzes von Cannabisprodukten wegen des Rechts eines Erkrankten auf Therapiefreiheit verfassungswidrig sei, hat der Senat abgelehnt, weil er die geltenden Regelungen für verfassungsgemäß hält und dem Behandlungsinteresse des Angeklagten ausreichend durch Beantragung einer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtmG, deren Voraussetzungen durch eine verfassungsgemäße Auslegung ermittelt werden müssten, Rechnung getragen werden könne.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 24. Juni 2004, 3 Ss 187/03
Hinweis:
Als Ataxien werden nicht-fokale Erkrankungen des Kleinhirns und seiner Verbindungen bezeichnet, die aufgrund des Untergangs von Nervenzellen im Zentralnervensystem entstehen. Diese Erkrankung führt vor allem zu körperlichen Koordinationsstörungen verschiedener Muskelgruppen, was unsichere, schleudernde und unangepasste Bewegungen zur Folge hat (vgl. hierzu näher die Internet eingestellten Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie: www.dgn.org.)
Hinweis auf den Gesetzestext:
BTMG 1981 § 3 Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
1. Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne
mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern,
sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
BTMG 1981 § 29 Straftaten
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt,
sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst
in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13
gewerbsmäßig handelt,
2. durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen
die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.
(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nr. 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.
STGB § 34 Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.