BERUFSRECHT DER ÄRZTE
Praxiswissen Rechtsanwalt: Die rechtlichen Folgen der Verletzung des Abstinenzgebotes in der Psychotherapie
Autor: Thomas M. Amann - Rechtsanwalt
1. Die gesetzlichen Regelungen in den Verordnungen der Berufskammern
Die Berufsausübung der Psychotherapeuten ist in den landesrechtlichen Regelungen der Heilberufsgesetze sowie in den Berufsordnungen der jeweiligen Berufskammern geregelt. Die Muster-Berufsordnung (Muster-Berufsordnung für die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten) der Bundespsychotherapeutenkammer ist eine Empfehlung der privatrechtlichen Bundeskammer an die öffentlich-rechtlichen Landeskammern. Sie regelt in § 6 Abs. 7 bspw. dass das Abstinenzgebot auch für die Zeit nach Beendigung der Psychotherapie, solange noch eine Behandlungsnotwendigkeit oder eine Abhängigkeitsbeziehung des Patienten zum Psychotherapeuten gegeben ist, gilt. Die Verantwortung für ein berufsethisch einwandfreies Vorgehen trägt dabei allein der behandelnde Psychotherapeut. Bevor private Kontakte aufgenommen werden, ist mindestens ein zeitlicher Abstand von einem Jahr einzuhalten.
Diesen Regelungsgehalt haben die meisten Berufskammern der einzelnen Bundesländer grundsätzlich übernommen.
Wesentliche Variationen gibt es lediglich im Hinblick auf den so genannten Abstinenzzeitraum. Die Berufsordnung Baden-Württemberg (Berufsordnung der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg) konkretisiert z.B. die zeitliche Wirkung des psychotherapeutischen Abstinenzgebots nach Beendigung der Therapie dadurch, dass innerhalb einer Einjahresfrist nach Abschluss der Behandlung das Fortbestehen einer Abhängigkeitsbeziehung unwiderleglich zu vermuten sei. In der Berufsordnung Niedersachsen (Berufsordnung der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen) hingegen findet die Abstinenzverpflichtung nach Beendigung der Therapie keine Erwähnung. Hier wird dem Behandler lediglich eine Pflicht zur verantwortungsvollen Beziehungsgestaltung zu Patienten auch nach Beendigung einer psychotherapeutischen Behandlung auferlegt. In Hessen (Berufsordnung der Landeskammer für Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten Hessen) sieht die dortige Berufsordnung vor, dass auch nach Abschluss einer Behandlung es dem professionellen Standard entspricht, die abstinente Haltung zu beachten. In Bayern (Berufsordnung für die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten Bayerns) ist eher strikt geregelt, dass die Abstinenzverpflichtung auch für die Zeit nach der Therapie gilt, solange noch eine Behandlungsnotwendigkeit oder eine Abhängigkeitsbeziehung des Patienten zum Psychotherapeuten (PP/ KJP) gegeben ist.
2. Berufsrechtliche Rechtsfolgen
Schuldhafte Verstöße gegen die Bestimmungen der Berufsordnung können berufsgerichtliche Verfahren nach dem jeweiligen Heilberufsgesetz nach sich ziehen. In diesen Verfahren kann dem Betroffenen als drastischste Konsequenz sein aktives und passives Berufswahlrecht entzogen oder seine Berufsunwürdigkeit feststellt werden.
Die Kammern kooperieren zudem mit der zuständigen Verwaltungsbehörde, die gem. § 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Ziff. 3 PsychThG die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut widerrufen kann.
3. Zivilrechtliche Haftung
Eine Verletzung des Abstinenzgebotes kann eine wirtschaftliche Haftung des Behandlers im Rahmen des Schadensersatz für die Behandlung der infolge der Verletzung entstandenen psychischen Folgeschäden als auch die weitere Behandlung der ursprünglichen seelischen Schäden auslösen. Weiter kann der Patient vom Psychotherapeuten Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden verlangen, die durch die infolge der persönlichen Kontakte aufgetretenen Gesundheitsschäden verursacht worden sind. Zudem kann noch der Anspruch des Patienten gegen den Psychotherapeuten auf Zahlung von einem angemessenen Schmerzensgeld bestehen.
4. Strafrechtliche Konsequenzen
Die Strafnorm des § 174c StGB (Strafgesetzbuch) sieht einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu 5 Jahren Haftstrafe vor. Im Strafverfahren besteht weiter die Möglichkeit, gemäß § 70 StGB ein Berufsverbot auszusprechen. Eine Vorstrafe nach § 174c StGB wird zudem gem. § 32 BZRG ins Führungszeugnis eingetragen und nach Nr. 26 MiStra (siehe unten) der Berufskammer gemeldet.
Der Tatbestand des § 174c StGB ist grundsätzlich auch verwirklicht, wenn der Patient bzw. die Patientin während einer laufenden Therapie in den sexuellen Kontakt einwilligt.
Nach einem regelgerechten Abschluss der Psychotherapie ist eine Strafbarkeit sexueller Beziehungen ausgeschlossen. Dies gilt nicht bei einem Abschluss pro forma, der erfolgt, um eine sexuelle Beziehung eingehen zu können. Wenn ein psychotherapeutisches Behandlungsverhältnis vorzeitig, also ohne einen regelgerechten Abschluss und ein fachlich angezeigtes Ende der Therapie, abgebrochen wird, dauert die therapiespezifische Abhängigkeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut noch an, so dass grundsätzlich eine Strafbarkeit noch möglich ist. In diesem Punkt muss allerdings eine juristische Einzelfallprüfung vorgenommen werden.
5. Wenn ein Strafverfahren bereits läuft
Auch bei dem vorliegenden Beitrag ist zu beachten, dass dessen kurze Ausführungen lediglich einen ersten groben Überblick über die aktuelle Rechtslage um diesen Bereich und einen Einblick in die äußerst komplexen Verfahren und seine Rechtsfolgen geben können. In keinem Fall können sie eine individuelle Rechtsberatung ersetzen, da jeder Fall grundsätzlich anders gelagert und mithin anders zu handhaben ist.
Besonders in Verfahren gegen Personen, die von Zulassungen und Erlaubnissen abhängen kann umso mehr erreicht werden, je früher ein entsprechend spezialisierter Rechtsanwalt bzw. Strafverteidiger des Vertrauens eingeschaltet wird.
In Ermittlungsverfahren wie diesen, wie auch in allen anderen Strafverfahren, wird nämlich die Staatsanwaltschaft im Regelfall bestrebt sein, nach Abschluss der Ermittlungen schnellstmöglich Anklage gegen den Beschuldigten beim zuständigen Gericht zu erheben, um so eine öffentliche Hauptverhandlung und eine Verurteilung inkl. Einträgen im Führungszeugnis zu erreichen. Zur Vermeidung dessen wird (soweit dies der primären und sekundären Zielsetzung der Verteidigungsstrategie entspricht) der mit der Verteidigung beauftragte Rechtsanwalt oder Strafverteidiger sämtliche strafprozessualen Mittel nutzen, um bereits in einem möglichst frühen Verfahrensstadium mit der Justiz ein alternatives außergerichtliches existenzerhaltendes Verfahrensbeendigungsszenario zu kreieren.
Erlangt zudem der Arbeitgeber, Dienstherr oder die zuständige Kammer auf die eine oder andere Art Kenntnis von dem laufenden Ermittlungsverfahren, sind unverzüglich die dienstrechtliche bzw. die arbeitsrechtliche Situation anwaltlich zu prüfen und ggf. geeignete (Gegen-) Maßnahmen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und zur Sicherung der Existenz bzw. Lebensgrundlage einzuleiten. Nicht jedes Strafverfahren berechtigt den Arbeitgeber zu einer Kündigung, einer Suspendierung oder zum Entzug einer Zulassung.
Unterliegt der von einem Ermittlungsverfahren Betroffene der Aufsicht einer berufsständischen Einrichtung und ist dies der Strafjustiz (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) bekannt, kann davon ausgegangen werden, dass die Justiz die zuständige Kammer über das Straf- bzw. über das Ermittlungsverfahren informieren wird.
So ist z.B. Nach Verordnung Nr. 26 der so genannten Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) in Verbindung mit § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 EGGVG die zuständige Behörde und Berufskammer bei Strafsachen gegen Angehörige der Heilberufe - namentlich bei Strafsachen gegen Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Tierärztinnen und Tierärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, Hebammen und Entbindungspfleger - grundsätzlich über das Strafverfahren zu informieren, wenn der Tatvorwurf auf eine Verletzung von Pflichten schließen lässt, die bei der Ausübung des Berufes zu beachten sind, oder er in anderer Weise geeignet ist, Zweifel an der Eignung, Zuverlässigkeit oder Befähigung hervorzurufen. Auch das kann sich existenzvernichtend auswirken.
Daher sollte unverzüglich der gewählten Rechtsanwalt bzw. Strafverteidiger hierauf angesprochen werden, damit dieser das Problemfeld Berufszulassung rechtzeitig in seine Verteidigungsstrategie miteinbeziehen und gemeinsam mit seinem Mandanten zielgerichtete effektive Verteidigungsmaßnahmen zur Lösung dieses Problems entwickeln kann.
In einer auf Strafrecht spezialisierten Kanzlei wird man dem Beschuldigten im Rahmen der strafrechtlichen Betreuung selbstverständlich in der krisenhaften Situation auch menschlich unter Einbeziehung der aus der Strafverfolgung resultierenden beruflichen und persönlichen Konflikte beistehen.