BERUFSUNFäHIGKEITSVERSICHERUNG
Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung - Nachprüfungsverfahren
Autor: Laux Rechtsanwälte - Kanzlei
Berufsunfähigkeit - Anforderungen an die Verweisungstätigkeit im Nachprüfungsverfahren
Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2016 - IV ZR 434/15
Mit Urteil vom 07. Dezember 2016 (IV ZR 434/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass bei der Prüfung, ob ein Versicherter eine Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht, nicht auf einen Hinzugewinn an Freizeit oder Arbeitserleichterungen abgestellt werden kann.
Der Fall
Die Versicherte war als Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von durchschnittlich 1.359,31 € in Vollzeit beschäftigt und mit der Betreuung pflegebedürftiger Personen betraut, bevor sie aufgrund mehrerer Bandscheibenvorfälle berufsunfähig wurde. Die Berufsunfähigkeit erkannte der Berufsunfähigkeitsversicherer ab dem 01. Dezember 2008 an. Im November 2009 nahm die Versicherte ihre berufliche Tätigkeit als Krankenschwester wieder auf, allerdings erstreckte sich diese nur noch auf einen Umfang von 30 Wochenstunden sowie auf lediglich administrative und unterstützende Tätigkeiten. Ihr Verdienst belief sich auf einen monatlichen Bruttolohn in Höhe von nur noch 1.050 €. Zum 01. November 2010 stellte der Versicherer seine Leistungen wieder ein mit der Begründung, die Berufsunfähigkeit sei durch die Aufnahme der neuen Tätigkeit entfallen.
Zuerst in zwei Instanzen verloren
Das für die Klage gegen die Leistungseinstellung zuständige Landgericht und das für die anschließende Berufung der Klägerin zuständige Oberlandesgericht waren sich einig: Der Versicherer habe die Versicherte zu Recht auf ihre neue Tätigkeit als Krankenschwester mit ausschließlich administrativen und unterstützenden Tätigkeiten verwiesen. Die Tätigkeit sei trotz der Einkommensdifferenz von durchschnittlich 22,77% zumutbar, weil die Lebensstellung der Versicherten nunmehr durch einen wesentlich höheren Freizeitanteil geprägt werde und besondere Belastungen - wie Nachtarbeit - entfielen. Der Versicherer habe deshalb seine Leistungen einstellen dürfen.
BGH korrigiert Fehlurteile der Vorinstanzen
Auf die Revision der Klägerin verwies der BGH den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück.
Höherer Freizeitanteil und Arbeitserleichterungen rechtfertigen keine Verweisung
Der BGH stellt zunächst klar, dass es für einen Vergleich zwischen der ursprünglichen Tätigkeit, in der Berufsunfähigkeit eingetreten ist, und der neuen Tätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen werden soll, auf die tatsächlich erzielten Einkünfte ankommt. Übt der Versicherte also inzwischen eine Teilzeittätigkeit aus, ist bei der vergleichenden Prüfung kein fiktives - bei Vollzeitbeschäftigung erzielbares - Einkommen anzurechnen, sondern allein das tatsächlich erzielte Einkommen bei der Vergleichsbetrachtung zu berücksichtigen.
Danach ermittelte Einkommenseinbußen könnten nicht - so der BGH weiter - mit einem Freizeitgewinn oder Arbeitserleichterungen kompensiert werden. Es komme entscheidend darauf an, ob der Versicherte mit seiner neuen Tätigkeit seine bisherige Lebensstellung sichern könne. Die Lebensstellung aber werde nicht geprägt durch das Fehlen von Erschwernissen oder zusätzliche Freizeit. Vielmehr werde ein sozialer Abstieg, den die Berufsunfähigkeitsversicherung gerade verhindern wolle, allein dadurch vermieden, dass dem Versicherten weiterhin diejenigen finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, die die Aufrechterhalten des in gesunden Tagen durch den früheren Beruf erreichten Lebensstandards ermöglichen, also den Unterhalt des Versicherten und gegebenenfalls seiner Familie sicherstellen. Von zusätzlich gewonnener Freizeit oder Arbeitserleichterungen könne der Unterhalt aber nicht bestritten werden.
Stärkung der Position von Versicherungsnehmern
Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Sie verdeutlicht einmal mehr den Sinn und Zweck der Berufsunfähigkeitsvorsorge, nämlich die Kompensation krankheitsbedingter Einkommenseinbußen zur Sicherstellung des bisherigen Lebensstandards. Dass es hierbei nicht auf Kriterien wie Freizeitausgleich und Arbeitsbedingungen ankommen kann, liegt auf der Hand, und wurde nun höchstrichterlich bestätigt.