STEUERSTRAFRECHT
Zur Hemmungswirkung einer freiwilligen Zahlung bei einer Selbstanzeige
Autor: Torsten Hildebrandt - Rechtsanwalt
Finanzgericht Bremen, Urteil vom 06.06.2018 - 1 K 65/17 (5)
Steuerstraftaten sind keine Kavalierdelikte. Dies verdeutlicht ein Blick auf den Strafrahmen, den diese vorsehen. Die Kernnorm des Steuerstrafrechts schlechthin ist § 370 AO. Diese sieht für die Grundkonstellation des Absatzes I eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe als Sanktion vor. § 370 Absatz II AO hält einen besonders schweren Fall bereit, der sogar eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zulässt. Im Gegensatz zum Kernstrafrecht, in dem dies in aller Regel nicht möglich ist, kann unter Umständen im Steuerstrafrecht jede Strafe vermieden werden. Das Zauberwort dafür lautete: Selbstanzeige. Diese ist in § 371 AO geregelt: Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft.
Beachtung ist nach dem vorliegenden Urteil insbesondere freiwilligen Zahlungen, die zur Tilgung einer vermeintlichen Steuerschuld dienen sollen, zu schenken.
Grundsätzlich gilt, dass eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig sind, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, wie sich aus § 169 Absatz I Satz 1 AO ergibt. Je nach Steuerart beträgt diese Frist § 169 Absatz II AO entsprechend ein oder vier Jahre. Eine massive Fristverlängerung auf zehn Jahre tritt im Falle einer Steuerhinterziehung ein. Diese Frist selbst beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem Steuerschuld entstanden ist, zu laufen, § 170 Absatz I AO.
Im zu entscheidenden Fall hatte ein Ehepaar für die Jahre 2002 und 2003 Steuern hinterzogen und Selbstanzeige erstattet. Das Strafverfahren gegen sie war bereits eingestellt worden. Auf freiwilliger Basis hatten sie eine Zahlung an das Finanzamt geleistet. Fraglich war aber, inwieweit noch ein Steuerbescheid für diese Jahre wirksam ergehen kann. Nach der Frist des § 169 Absatz II AO wäre eine Verjährung mit dem Ablauf der Jahre 2013 bzw. 2014 eingetreten. Die Bescheide ergingen indes erst im Verlauf des Jahres 2015. Strittig war deshalb, ob eine Hemmung der Verjährung vorlag. Das Ehepaar erhob Klage.
Die Bestimmungen zu diversen Konstellationen der Ablaufhemmung weist § 171 AO auf. Das Finanzgericht Bremen hielt § 171 Absatz XIV AO für einschlägig. Darin heißt es: Die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch endet nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 noch nicht verjährt ist. Ein solcher Erstattungsanspruch sei aber durch die rechtsgrundlose Zahlung einer bis dahin noch nicht beschiedenen Steuerschuld entstanden. Dem stehe auch nicht entgegen, dass durch die freiwillige Zahlung der Eheleute ein materiell bereits entstandener Steueranspruch erfüllt wurde. Somit trat durch die freiwillige Zahlung der Kläger eine Ablaufhemmung ein, die ihnen letztlich selbst zum Verhängnis wurde. Die Steuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003 hatten Bestand.
Die verdeutlicht die komplexen Zusammenhänge der Selbstanzeige, die für jeden Fall individuell zu beurteilen sind. Ob diese Rechtsprechung in der Revision Bestanden haben wird, bleibt abzuwarten.