VERKEHRSRECHT
BVerfG zur Verurteilung wegen Führens eines Kraftfahrzeugs nach Cannabiskonsum
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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung
wegen Führens eines Kraftfahrzeugs nach Cannabiskonsum
Die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Beschwerdeführers (Bf), der wegen
Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis zu einer
Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt worden war, hatte Erfolg. Die
2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts (AG) und
Oberlandesgerichts (OLG) aufgehoben, da sie die allgemeine
Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Bf verletzen. Die Sache wurde
an das AG zurückverwiesen.
Sachverhalt:
16 Stunden nach der Einnahme von Cannabis fuhr der Bf mit einem Pkw. In
einer anschließend entnommenen Blutprobe wurde Tetrahydrocannabinol
(THC) in einer Konzentration von unter 0,5 ng/ml festgestellt. THC ist
der psychoaktive Hauptwirkstoff von Cannabis.
Das AG verurteilte den Bf nach § 24 a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz
(StVG) wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des
berauschenden Mittels Cannabis. Das OLG wies die Rechtsbeschwerde des Bf
zurück. Mit seiner gegen die gerichtlichen Entscheidungen erhobenen Vb
rügt der Bf vor allem die Verletzung seiner allgemeinen
Handlungsfreiheit.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Nach § 24 a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer „unter der
Wirkung“ eines der in der Anlage zu der Vorschrift genannten
berauschenden Mittels wie Cannabis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug
führt. Eine solche Wirkung liegt nach Satz 2 vor, wenn im Blut eine in
dieser Anlage genannte Substanz (bei Cannabis THC) nachgewiesen wird.
Dabei ist der Gesetzgeber ausdrücklich davon ausgegangen, dass die
Wirkungs- und Nachweisdauer bei den einzelnen Mitteln übereinstimmen:
Solange im Blut Substanzen eines der genannten Rauschmittel nachweisbar
sind, könne angenommen werden, dass die Fahrtüchtigkeit des
Kraftfahrzeugführers eingeschränkt und eine Sanktionierung nach dieser
Vorschrift möglich ist.
Infolge des technischen Fortschritts hat sich inzwischen die
Nachweisdauer für das Vorhandensein von THC wesentlich erhöht. Spuren
der Substanz lassen sich nunmehr über mehrere Tage, unter Umständen
sogar Wochen nachweisen. Für Cannabis trifft daher die Annahme des
Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit nicht mehr
zu. Mit Rücksicht darauf kann nicht mehr jeder Nachweis von THC im Blut
eines Verkehrsteilnehmers für eine Verurteilung nach § 24 a Abs. 2 StVG
ausreichen. Die Vorschrift ist vielmehr verfassungskonform auszulegen;
festgestellt werden muss eine THC-Konzentration, die es als möglich
erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am
Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit
eingeschränkt war. Dies wird in der Wissenschaft zum Teil erst bei
Konzentrationen von über 1,0 ng/ml angenommen. Andere gehen davon aus,
dass schon – aber auch erst – ab einem Grenzwert von 1,0 ng/ml eine
Wirkung im Sinne des § 24 a StVG nicht mehr auszuschließen sei. Auch das
Bayerische Oberste Landesgericht und im Fahrerlaubnisrecht die
Verwaltungsgerichte legen ihrer Rechtsprechung diesen Grenzwert zu
Grunde.
Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Entscheidungen mit dem
Grundrecht des Bf aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Sie stellen bei
Auslegung und Anwendung des § 24 a Abs. 2 StVG allein auf die
festgestellte THC-Konzentration von unter 0,5 ng/ml ab, ohne zu prüfen,
ob die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und
Nachweiszeit für das hier konsumierte Rauschmittel noch zutrifft. Nicht
erwogen wird deshalb, dass die Wirkungsdauer beim Bf zum Zeitpunkt der
fraglichen Fahrt 16 Stunden nach der Einnahme von Cannabis nicht mehr
fortbestanden haben könnte.
BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 – 1 BvR 2652/03 –