VERKEHRSRECHT
Haft- oder Bewährungsstrafe nach tödlichem Verkehrsunfall?
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Mit dieser Frage hatte sich der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe zu befassen.
Der 24jährige Angeklagte hatte im Juni 1999 mit seinem Sportwagen der Marke Lotus gemeinsam mit einem Freund eine „Spritztour“ unternommen, wobei er als Fahrer auf einer Landstraße im Raum Pforzheim in einer Linkskurve bei einer Kurvengeschwindigkeit von 127 km/h ins Schleudern geriet und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenprallte. Dessen 36jährige Fahrerin - eine Mutter zweier Kinder - verstarb an ihren schweren Verletzungen noch am Unfalltag. Das Landgericht Karlsruhe hat den nicht vorbestraften Angeklagten im März 2002 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt, die Vollstreckung der Strafe jedoch zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision hatte keinen Erfolg.
Nach den nunmehr vorliegenden Urteilsgründen kann die Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe trotz einer günstigen Sozialprognose durchaus dann in Betracht kommen, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) eine solche Sanktion gebietet. Dies ist nach Auffassung des 1. Strafsenats grundsätzlich auch bei Verstößen im Straßen-erkehr möglich, wenn diese zu schwersten, insbesondere tödlichen Unfallfolgen führen. Nicht jede Missachtung von Verkehrsvorschriften erfordere jedoch eine solche nachdrückliche Strafe, vielmehr sei dies nur dann der Fall, wenn die Tat neben den durch sie verursachten schwersten Folgen einen erheblichen Unrechtsgehalt aufweise und sich als ein besonders grober und rücksichtsloser Verkehrsverstoß darstelle. Auch Fälle der „verantwortungs-losen Raserei“ könnten hierzu zählen.
Zudem bedürfe es immer noch der weiteren Abwägung, ob durch eine Strafaussetzung das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werde oder die besonderen Umstände des Einzelfalles eine andere Bewertung rechtfertigten.
In dem zu entscheidenden Fall hat der Senat bereits die allgemeine Notwendigkeit der Voll-streckung der Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung verneint und die vom Landgericht Karlsruhe vorgenommene Aussetzung der Strafe zur Bewährung bestätigt. Zwar habe der Angeklagte die Linkskurve mit einer außerorts unzulässigen Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h befahren, die Überschreitung sei jedoch noch nicht so erheblich gewesen, dass allein die Querbeschleunigung das Schleudern des Fahrzeugs verursacht habe, vielmehr sei noch ein individueller Fahrfehler hinzugekommen. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der Angeklagte aus eigensüchtigen Motiven oder aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrs-teilnehmern gehandelt habe, indem er etwa sein Ziel bewusst schnellstmöglich um jeden Preis, wie etwa bei einem „Wettrennen auf öffentlichen Straßen“ oder beim „bewussten Austesten der Grenzbereiche des Fahrzeugs“ habe erreichen wollen. Eine bewusste Missachtung und Gefährdung der Rechte und der körperlichen Unversehrtheit anderer liege daher nicht nachweisbar vor, vielmehr sei davon auszugehen, dass der noch junge Angeklagte aus Gedankenlosigkeit den „Verlockungen des Schnellfahrens“ erlegen sei und dabei seine eigenen Fahrfertigkeiten überschätzt habe.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 18. Februar 2003, 1 Ss 82/02
Hinweis auf den Gesetzestext: § 56 StGB
Abs. 1 Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
Abs. 3 Bei der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
Hinweis: Der in § 56 Abs.3 StGB verwandte Begriff der „Verteidigung der Rechtsordnung“ wurde durch das 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25.06.1969 mit Wirkung zum 01.04.1970 eingeführt. Mit dieser Formel wollte der Gesetzgeber eine Richtlinie dafür geben, unter welchen Umständen eine kriminalpolitisch unerwünschte kurze Freiheitsstrafe dennoch anstelle einer Geldstrafe verhängt oder eine erwünschte Aussetzung einer mittleren Freiheitsstrafe trotz günstiger Sozialprognose abgelehnt werden soll. Danach sollten kurze Freiheitsstrafen bzw. die Vollstreckung mittlerer Freiheitsstrafen grundsätzlich vermieden werden, da in diesen Bereichen die negativen Auswirkungen des Strafvollzugs, insbesondere bei sozial eingeordneten Einmal- und Fahrlässigkeitstätern, die nicht dem kriminellen Feld zuzurechnen sind, überwiegen.
Dass das Kriterium der „Verteidigung der Rechtsordnung“ bei Verstößen im Straßenverkehr die Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe gebieten kann, war bislang - abgesehen von besonderen Einzelfällen - ausdrücklich nur für Trunkenheitsdelikte im Straßenverkehr anerkannt, wenn diese zu besonders schweren, insbesondere tödlichen Unfallfolgen geführt haben, (grundlegend hierzu ist die Entscheidung BGHSt 24, 65 ff.).