VERKEHRSRECHT
Kinder im Straßenverkehr - Elterliche Aufsichtspflicht
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vom 29.6.2000, Az. 2 U 167/00
-6-jähriger Radfahrer verursacht Unfall
- Keine Haftung der Eltern mangels Aufsichtspflicht-Verletzung
Endscheidungsgründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen. Insoweit wird auf den Tatbestand des Ersturteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
....
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagte hat den ihm obliegenden Entlastungsbeweis gemäß § 832 BGB geführt.
a) Das Landgericht Nürnberg-Fürth, auf dessen Ausführungen vollinhaltlich Bezug genommen wird, hat bereits die von der Rechtsprechung an die Erfüllung der Aufsichtspflicht gegenüber Rad fahrenden Kindern gestellten Anforderungen dargelegt.
Im vorliegenden Fall ist insbesondere zu beachten, dass der Sohn des Beklagten zum Unfallzeitpunkt kurz vor der Einschulung stand und es von der Rechtsprechung für zulässig erachtet wird, dass Kinder in diesem Alter nach entsprechender Einweisung in die Verkehrsregeln allein zur Schule fahren dürfen. Erst recht darf Kindern wegen der damit verbundenen geringeren Gefahren das Rad fahren in einem Freizeit- und Spielgelände wie dem Marienberg gestattet werden. Das OLG Celle (NJW-RR 1988, Seite 216) hat z.B. festgestellt, dass eine Aufsichtspflichtverletzung dann nicht vorliege, wenn Eltern ihrem fast sechs Jahre alten Kind, das im Rad fahren geübt und mit den Verkehrsanforderungen auf dem nahe der Wohnung gelegenen Rad- und Fußweg vertraut ist, das Rad fahren auf diesem Weg ohne Begleitung gestatten.
Der Sohn des Beklagten war zum Unfallzeitpunkt fast sieben Jahre alt, er befuhr das Marienberggelände auch nicht allein, sondern unter Aufsicht seines Vaters. Eine Aufsichtspflichtverletzung des Beklagten käme demnach allenfalls in Betracht, wenn festgestellt würde, dass das Befahren des Weges vom Marienbuck herab in dessen unteren Teil den Sohn des Beklagten im Hinblick auf dessen technisches Fahrkönnen überforderte und deshalb nicht hätte gestattet werden dürfen. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme konnte der Beklagte aber davon ausgehen, dass sein Sohn den Weg ohne Gefährdung anderer Personen befahren konnte.
b) Zum radfahrerischen Können ihres Sohnes .... hat die Zeugin ... bekundet, dass dieser seit seinem 3. Lebensjahr Rad fahre. Zunächst habe er ein kleineres Rad mit Stützrädern gehabt, die nach etwa einem halben Jahr abmontiert worden seien. Das Rad, mit dem der Unfall passiert sei, habe er seit einem Jahr benutzt. ... fahre sehr viel mit dem Fahrrad; mit seinem Vater, dem Beklagten, mache er viele Radausflüge. Nach Angaben der Zeugin hatte ... zum Unfallzeitpunkt nicht nur die technische Fähigkeit, ein Fahrrad zu "beherrschen", er sei auch immer ermahnt worden, dass er aufpassen solle, wenn er auf die Straße fahre. ... habe vor dem streitgegenständlichen Vorfall noch nie einen Unfall gehabt; er höre sehr gut auf seine Eltern.
Die Angaben der Zeugin ... sind glaubhaft. Sie stehen insbesondere in Übereinstimmung mit der allgemeinen Lebenserfahrung. Kinder werden üblicherweise wie von der Zeugin geschildert zum selbständigen verantwortungsbewußten Rad fahren herangeführt.
c) Der Beklagte konnte erwarten, dass sein Sohn ... in der Lage sein werde, den vor der Unfallstelle befindlichen Weg vom Marienbuck herab zu befahren. Dieser Teil des von ... befahrenen Weges weist nur ein leichtes Gefälle auf. Der den schmalen Weg abschließende Asphaltweg, auf dem der Beklagte seinen Sohn erwartete, ist so breit, dass ein Abbiegen nach links ohne weiteres möglich gewesen wäre. Die grundsätzlich gefahrlose Benutzbarkeit des Weges kommt deutlich auf den in den Strafakten .... befindlichen Lichtbildern, insbesondere Nr. 7 und Nr. 9, zum Ausdruck. Im Hinblick auf diese Lichtbilder war die Einnahme eines gerichtlichen Augenscheines nicht veranlasst; außerdem ist allen Richtern des Senates die Unfallstelle gut bekannt. Soweit die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung ... Fotografien vorlegte, ist dazu anzumerken, dass Bild Nr. 1 sicherlich eine schwierige Fahrtstrecke zeigt, diese befindet sich aber von der Unfallstelle durch nur mit geringerer Geschwindigkeit zu befahrende Kurven getrennt im obersten Bereich des Marienbucks. Falls der Sohn des Beklagten bereits dort mit seinem Fahrrad fuhr, hatte das keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen am Fuße des Marienbucks.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte nicht unmittelbar vor oder hinter seinem Sohn fuhr und sich damit der Möglichkeit begab, notfalls unmittelbar körperlich auf ihn einzuwirken. Nach Aussage der Zeugin ... ist ... grundsätzlich ein gehorsames Kind. Der Beklagte hatte also keinen Anlass für die Annahme, er könne seinen Sohn erforderlichenfalls nicht durch Zurufe leiten. Im Übrigen hätte der Beklagte selbst bei größerer räumlicher Nähe zu seinem Sohn nicht verhindern können, dass dieser plötzlich und unvermutet den Weg verließ und durch die Lücke in der Hecke fuhr.
d) Insgesamt ist also festzustellen, dass der Beklagte nicht gegen die ihm obliegende Aufsichtspflicht verstieß, als er seinen Sohn den Weg im unteren Teil des Marienbucks befahren ließ. Allein aus der Tatsache, dass sich der Sohn ... schließlich doch falsch verhielt, kann nicht gefolgert werden, dass er tatsächlich noch nicht reif war für die Befahrung dieses Wegstückes und dass der Beklagte das hätte wissen müssen. Wie bereits oben dargelegt, war bei ... die generelle Eignung zum Befahren der Strecke vorhanden. Bei einem Kind auf einem Fahrrad muss jedoch stets damit gerechnet werden, dass es sich aus spielerischer Unbekümmertheit, Unerfahrenheit oder mangelhafter Körperbeherrschung unversehens in gefährliche Situationen bringt, die einen Unfall heraufbeschwören können. Auch durch genügende Aufsicht der Erziehungsberechtigten lässt sich derartiges kindliches Unvermögen letztlich nicht ausschließen. Ein Ersatzanspruch des Geschädigten entsteht nach den Regelungen des BGB bei solchen Fallgestaltungen nicht.
e) Die von der Klägerin beantragte Vernehmung des Zeugen .... dazu, dass der Beklagte kurz nach dem Unfall die Vollhaftung dem Grunde nach anerkannt habe, ist nicht veranlasst. Selbst wenn der Beklagte gesagt haben sollte, "der Schaden werde ausgeglichen, es werde alles auf Heller und Pfennig bezahlt, er sei im übrigen versichert," ist darin keine persönliche Haftungsübernahme zu sehen, sondern nur die Inaussichtstellung, dass seine Haftpflichtversicherung den Schaden begleichen werde. Bestätigt wird diese Auslegung durch die Schilderung der Klägerin in erster Instanz. Auf Seite 7 der Klage ist dazu ausgeführt: "Die einzigen Worte, die der Beklagte vor Ort für die Klägerin und den besorgten Ehemann übrig hatte, waren, dass sie sich nicht aufregen sollten, die Versicherung würde alles bezahlen". Anzumerken, wenn auch aus vorgenanntem Grund nicht entscheidungserheblich, ist noch, dass selbst bei Annahme, der Beklagte habe an der Unfallstelle ein Anerkenntnis seiner Leistungspflicht abgegeben, daraus nach der Rechtsprechung nur eine Umkehr der Beweislast gefolgert werden könnte (Palandt, BGB, 59. Auflage, Rn 6, 10 zu § 781 BGB). Im Hinblick auf die eindeutige Beweislage hat aber die Frage der Beweislastverteilung auf die Entscheidung keinen Einfluss.....
Urteil des Oberlandesgericht Nürnberg
vom 29.6.2000, Az. 2 U 167/00; rechtskräftig