VERWALTUNGSRECHT
Sämtliche Reglungen zur Vorratsdatenspeicherung „nicht anwendbar“
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Sämtliche Reglungen zur Vorratsdatenspeicherung „nicht anwendbar“ © Symbolgrafik:© jochenL.E. - stock.adobe.com
Leipzig (jur). Die gesetzliche Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter zur Vorratsspeicherung verstößt gegen EU-Recht und ist „daher nicht anwendbar“. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in zwei am Donnerstag, 7. September 2023, bekanntgegebenen Urteilen entschieden (Az.: 6 C 6.22 und 6 C 7.22). Es setzte damit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um. Als Konsequenz liegen die Regelungen weiter auf Eis.
Nach dem Telekommunikationsgesetz müssen Telekommunikationsanbieter die Standort- und Verbindungsdaten der Nutzer für vier beziehungsweise zehn Wochen speichern. Gespeichert wird also, wer wann und mit wem kommuniziert hat, wie lange das gedauert hat und wo sich die betreffenden Personen befanden. Die Inhalte der Telefon- oder Internetkommunikation sowie insgesamt die Daten von E-Mails sind dagegen nicht umfasst. Seit einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen in Münster vom 22. Juni 2017 (Az.: 13 B 238/17; JurAgentur-Meldung vom Entscheidungstag) liegen die Regelungen faktisch auf Eis; insbesondere verzichtet die Bundesnetzagentur auf Bußgeldverfahren bei Verstößen.
Der EuGH hatte bereits mehrfach entschieden, dass eine generelle Vorratsdatenspeicherung gegen das in der EU-Grundrechtecharta verbürgte Recht auf Achtung des Privatlebens und das Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Daten verstößt (so zu Irland, Urteil und JurAgentur-Meldung vom 5. April 2022, Az.: C-140/20).
Gestützt darauf wollten in Deutschland Telekom und SpaceNet ihrer gesetzlichen Pflicht zur Datenspeicherung nicht nachkommen. Das Bundesverwaltungsgericht legte ihre Klagen dem EuGH vor (Beschlüsse vom 25. September 2019, Az.: 6 C 12.18 und 6 C 13.18).
Daraufhin hatten die Luxemburger Richter erneut bekräftigt, „dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen“ (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 20. September 2022, Az.: C-793/19 und C-794/19). Anderes gelte nur bei einer „ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit“. Eine solche Ausnahme müsse aber in Umfang und Dauer „auf das absolut Notwendige begrenzt“ sein.
Das Bundesverwaltungsgericht befand nun, dass die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung diesen Vorgaben nicht gerecht werden. Es fehle schon an objektiven Kriterien und klaren Zielen. Die Speicherung der Daten von Telefongesprächen sei nicht wie nach EU-Recht gefordert auf den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit beschränkt.
Für bestimmte Zwecke hatte der EuGH die Speicherung der IP-Adressen von Computern erlaubt, von denen aus Internetseiten aufgerufen werden. Dies gilt als wichtig für die Bekämpfung von Kinderpornografie. Auch hier sehe das Telekommunikationsgesetz eine Beschränkung auf schwere Kriminalität aber nicht vor, rügte das Bundesverwaltungsgericht.
Daher seien die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes „in vollem Umfang unvereinbar“ mit der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Wegen des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts seien diese Regelungen „nicht anwendbar“, so das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 14. August 2023.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock