VERWALTUNGSRECHT
Schwangere müssen beim Besuch von Pro Familia Proteste aushalten
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Schwangere müssen beim Besuch von Pro Familia Proteste aushalten © Symbolgrafik:© Halfpoint - stock.adobe.com
Leipzig (jur). Frauen können beim Besuch einer Schwangerschaftsberatungsstelle nicht verlangen, dass sie von einem Protest von Abtreibungsgegnern gänzlich verschont bleiben. Zur Versammlungsfreiheit gehöre, dass Menschen sich dort versammeln dürfen, „wo es denjenigen ‚weh tut’, gegen die sich der Protest richtet, entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem am Montag, 26. Juni 2023, veröffentlichten Beschluss (Az.: 6 B 33.22). Eine unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzung der Schwangeren könne erst dann vorliegen, wenn den betroffenen Frauen die andere Meinung mit „nötigenden Mitteln“ aufgedrängt werde, erklärten die Leipziger Richter.
Im Streitfall ging es um eine Versammlung von Abtreibungsgegnern der christlichen Bewegung „40 Days for Life“. Rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollten 2019 vor einer Pro-Familia-Beratungsstelle in Pforzheim für die Dauer von 40 Tagen für das „Lebensrecht ungeborener Kinder“ mit einem täglichen stillen Gebet und einer Mahnwache auf Abtreibungen aufmerksam machen. Die Versammlung sollte auf der gegenüberliegenden Straßenseite einer stark befahrenen vierspurigen Straße stattfinden.
Die Stadt genehmigte die Versammlung nur unter Auflagen. Gesänge und Gebete dürften nur außerhalb der Sichtweite zu Pro Familia stattfinden. Schwangere und Pro Familia-Mitarbeiter würden sich sonst bedrängt fühlen.
Die christliche Gruppierung sah sich dadurch in seiner Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit verletzt. Ratsuchende Frauen würden weder persönlich angesprochen, noch würden ihnen „blutige Schockfotos“ getöteter Embryonen gezeigt.
Bereits der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim urteilte, dass die betroffenen Frauen wegen des Protestes nicht in eine unausweichliche Situation geraten würden (Urteil vom 25. August 2022, Az.: 1 S 3575/21; JurAgentur-Meldung vom 31. August 2022). Die Versammlung sei nur auf der anderen Seite der breiten und stark befahrenen Straße genehmigt worden. Von einem Spießrutenlauf für ratsuchende Frauen könne keine Rede sein.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ab. In einer pluralistischen Gesellschaft gebe es kein Recht darauf, „von der Konfrontation mit abweichenden religiösen Vorstellungen oder Meinungen gänzlich verschont zu bleiben“. Nur wenn die Meinungen mit „nötigenden Mitteln“ aufgedrängt werden, könne eine unzulässige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegen.
Davon sei hier nach den Feststellungen des VGH nicht auszugehen. Ein physischer oder psychischer Spießrutenlauf habe den ratsuchenden Frauen nicht gedroht. Die Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit der Abtreibungsgegner habe daher Vorrang.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock