VERFASSUNGSRECHT
Bundesverfassungsgericht stoppt Löschung der Daten aus Zensus 2011
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Karlsruhe (jur). Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die bereits begonnene Löschung der Daten aus dem Zensus 2011 gestoppt. Sie sollen vorübergehend erhalten bleiben, damit sie für eine gerichtliche Kontrolle der Neuberechnung der Einwohnerzahlen der Kommunen verfügbar sind, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Dienstag, 1. September 2015, veröffentlichten Eilbeschluss entschied (Az.: 2 BvF 1/15). Es gab damit einem Eilantrag Berlins statt, das durch die Neuberechnung um 180.000 Einwohner „geschrumpft“ war.
Konkret soll Berlin 2011 laut Zensus-Berechnung 3.292.365 Einwohner gehabt haben, statistisch rund 180.000 Einwohner weniger als 2010. Dabei waren die Einwohnerzahlen bis 2010 auf Grundlage der Volkszählungen von 1981 in den neuen und 1987 in den alten Bundesländern fortgeschrieben worden.
Der Zensus 2011 war dann die erste Erhebung der Bevölkerung nach der Wiedervereinigung. Um den Aufwand zu begrenzen, wurden bei der „kleinen Volkszählung“ nur Stichproben der Haushalte erfasst und die Ergebnisse hochgerechnet. Teilweise wurden auch ergänzend die Melderegister herangezogen.
Neben Berlin waren nach der Neuberechnung auch viele andere Städte und Gemeinden kleiner als bislang gedacht. Von der Einwohnerzahl hängen für die Gemeinden die Zuweisungen der Länder aus dem kommunalen Finanzausgleich und für die Stadtstaaten wie Berlin aus dem Länderfinanzausgleich ab. Für Berlin geht es nach Angaben des Landes um 470 Millionen Euro pro Jahr.
Neben Berlin haben daher bundesweit über 1.000 Kommunen rechtliche Schritte gegen die Neufestsetzung ihrer Einwohnerzahl auf den Grundlagen des Zensus 2011 eingeleitet. (Zu den 54 Verfahren in Bayern siehe das abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 6. August 2015, Az.: RO 5 K 13.2149, JurAgentur-Meldung vom Folgetag.)
Nach den gesetzlichen Vorgaben sollten die Daten aus dem Zensus 2011 allerdings nach vier Jahren gelöscht werden. Die Löschung hat bereits begonnen. Auf Antrag Berlins hat das Bundesverfassungsgericht nun die Löschung mit einer einstweiligen Anordnung gestoppt.
Bislang sei offen, ob die Klagen Berlins und anderer Kommunen gerechtfertigt seien, erklärten die Karlsruher Richter zur Begründung. Die Löschung hätte aber „schwere Nachteile für die betroffenen Gemeinden“. Denn die Daten stünden dann nicht mehr zur Verfügung, um die Neuberechnung überprüfen zu können – etwa durch gerichtliche Gutachter. Dabei gehe es für die Gemeinden um viel Geld, nämlich die Zuweisungen von 2011 bis zur nächsten geplanten Erhebung in 2021. Für Berlin seien das in zehn Jahren insgesamt 4,7 Milliarden Euro.
Auf der Gegenseite stehe zwar ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger. Ihre Daten blieben aber nur für einen vorübergehenden Zeitraum länger gespeichert, bis der Streit um die Einwohnerzahlen rechtlich und gegebenenfalls auch sachlich geklärt sei. Der Eingriff sei daher vergleichsweise gering.
In einer „Folgenabwägung“ wiege daher das Interesse der Gemeinden an einer Klärung ihrer Einwohnerzahlen schwerer als der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Bürger. Daher dürften die Zensus-Daten zunächst nicht gelöscht werden, entschied das Bundesverfassungsgericht mit seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 26. August 2015.
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