STRAFRECHT
Lange U-Haft ist keine Menschenrechtsverletzung
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Straßburg (jur). Eine fünf Jahre und acht Monate dauernde Untersuchungshaft stellt nicht automatisch eine Menschenrechtsverletzung dar. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in einem am Donnerstag, 6. November 2011, verkündeten Urteil entschieden und damit die Beschwerde des in Hagen lebenden staatenlosen Faruk Ereren als unbegründet zurückgewiesen (Az.: 67522/09).
Ereren wurde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf angeklagt, ein führendes Mitglied einer Terrororganisation, der türkisch marxistisch-leninistischen „Revolutionären Volksbefreiungpartei-Front“ (DHKP-C), zu sein. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, einen Anschlag in Istanbul angeordnet zu haben, bei dem zwei türkische Polizisten ermordet wurden. Außerdem wurde er verdächtigt, für sechs Mordversuche und von Januar 2001 bis Juli 2005 für mehrere Bombenanschläge in der Türkei verantwortlich gewesen zu sein.
Doch das Gerichtsverfahren zog sich in die Länge. Zeugenaussagen aus der Türkei und türkische Ermittlungsakten mussten übersetzt werden. Am 27. September 2011 verurteilte das OLG Ereren wegen des Auftragsmordes an zwei türkische Polizisten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Doch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe kippte diese Entscheidung wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen und verwies das Verfahren an eine andere Kammer des OLG zurück.
Grund: Ein Zeuge hatte seine vor türkischen Behörden gemachte Aussage widerrufen. Er sei damals von den Behörden gefoltert und dazu gezwungen worden, Ereren hinsichtlich der zwei Morde zu belasten. Ein weiterer Zeuge befand sich in einem Zeugenschutzprogramm und war wegen seiner „Kooperation“ vorzeitig aus der eigenen Haft entlassen worden.
Im nun neu aufgerollten OLG-Verfahren wurde es nicht einfacher. Mittlerweile hatten sich 134 Aktenordner zum Fall angesammelt. Auf freien Fuß kam Ereren nicht. Die Untersuchungshaft wurde immer weiter verlängert und auch vom Bundesgerichtshof bestätigt. Es bestehe weiter ein dringender Tatverdacht, dass Ereren einer terroristischen Vereinigung angehört und für zwei Auftragsmorde verantwortlich sei.
Er habe zudem in Deutschland keinen festen Wohnsitz und keine sozialen Kontakte. Daher bestehe bei einer Entlassung aus der U-Haft Fluchtgefahr. Es gebe außerdem geheimdienstliche Hinweise, dass Ereren bei einer Freilassung von der DHKP-C umgehend außer Landes gebracht werden könnte, so die Begründung des OLG.
Erst nach fünf Jahren und acht Monaten Untersuchungshaft wurde Ereren nach einer weiteren Beschwerde am 4. Februar 2014 schließlich doch noch entlassen. Auch wenn er weiterhin für den Mord an den beiden Polizisten dringend tatverdächtig sei, sei eine erneute Verlängerung der U-Haft nicht mehr zu rechtfertigen, so der Sinneswandel des OLG. Denn Strafgerichte seien dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot verpflichtet.
Je länger eine U-Haft andauere, desto strenger müsse dieses Gebot gehandhabt werden. Trotz mehrerer Aufforderungen habe ein wichtiger Zeuge aus der Türkei bislang nicht vor Gericht ausgesagt. Es sei auch nicht absehbar, wann dies geschehen werde. Die möglicherweise unter Folter erzielte Aussage eines weiteren türkischen Belastungszeugen könne nicht verwendet werden. Daher sei Ereren freizulassen, auch wenn das Strafverfahren noch nicht beendet ist.
Vor dem EGMR rügte Ereren, dass seine fünf Jahre und acht Monate dauernde Untersuchungshaft viel zu lang und damit menschenrechtswidrig war. Die deutschen Gerichte hätten das Verfahren nicht zügig verfolgt.
Die Straßburger Richter sahen hinsichtlich der U-Haft-Dauer jedoch keine Fehler der deutschen Gerichte. Auch eine solch lange Haftdauer könne je nach Einzelfall begründet sein. Hier sei das komplexe Verfahren nie liegengeblieben. Zahlreiche Aussagen und Dokumente mussten in Deutsch übersetzt werden.
Die U-Haft sei auch gerechtfertigt gewesen, da besonders schwere Straftatvorwürfe im Raum standen und bei dem Beschwerdeführer eine Fluchtgefahr bestand. Dies hätten die deutschen Gerichte hinreichend untersucht und begründet.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage