MEDIZINRECHT
Patientenwunsch gilt auch ohne bevorstehenden Tod
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Karlsruhe (jur). Auch nicht tödlich Kranke haben das Recht, dass medizinische Behandlungen nach den eigenen Vorstellungen und dem eigenen Willen gegebenenfalls abgebrochen werden. Eine Unterscheidung zwischen tödlichen und anderen Erkrankungen findet keinen Halt in dem seit September 2009 geltenden Gesetz, heißt es in einem am Donnerstag, 16. Oktober 2014, veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe (Az.: XII ZB 202/13). Eine Patientenverfügung sei nicht zwingend notwendig.
Damit können Ehemann und Tochter einer heute 51-jährigen Frau aus Sachsen wohl doch noch den Abbruch ihrer Behandlung durchsetzen. Die Frau erlitt im September 2009 eine Gehirnblutung und liegt seitdem im Wachkoma. Sie wird mit einer Magensonde ernährt, eine Kontaktaufnahme mit ihr ist nicht möglich.
Der Ehemann und die Tochter der Frau wurden zu ihren Betreuern bestellt. Eine Patientenverfügung hatte sie nicht hinterlassen. Daher beantragten die Betreuer im Juli 2010, lebenserhaltende ärztliche Maßnahmen abbrechen zu dürfen. Zudem wollten sie festgestellt wissen, dass sie auch die künstliche Magensondenernährung ohne weiteren Gerichtsbeschluss beenden dürfen.
Das Amtsgericht und auch das Landgericht Chemnitz lehnten beides ab. Sie argumentierten, der Wille der Patientin stehe nicht eindeutig fest. Da ihr Tod krankheitsbedingt nicht unmittelbar bevorstehe, seien besonders hohe Anforderungen an die Absicherung dieses Willens zu stellen. Äußerungen, die die Patientin anlässlich schwerer Erkrankungen ihrer Eltern sowie mehrerer Bekannter gemacht hatte, reichten daher nicht aus.
Dem hat der BGH nun deutlich widersprochen. Das Gesetz mache einen solchen Unterschied nicht. „Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem ‚irreversibel tödlichen Verlauf’ ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen“, betonten die Karlsruher Richter. „Für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen kommt es nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung an.“
Wie der BGH weiter ausführt, gibt das Gesetz ein dreistufiges Verfahren für die Klärung des Patientenwillens vor. Höchsten Stellenwert habe eine Patientenverfügung. Laut Gesetz hat der Betreuer die Aufgabe, dieser „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“. Eine gerichtliche Genehmigung sei hierfür nicht erforderlich, wenn sich Arzt und Betreuer über die Auslegung der Patientenverfügung einig sind, so der BGH. Angehörige könnten allerdings auch dann ein Gerichtsverfahren beantragen.
Zudem betonte der BGH, dass sich auch eine Patientenverfügung konkret zu bestimmten Lebenssituationen äußern muss. „Von vornherein nicht ausreichend“ sind danach „allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist.“ Allerdings dürften die Anforderungen auch nicht überspannt und faktisch vorausgesetzt werden, „dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt“.
Liegt keine Patientenverfügung vor oder beschreibt diese nicht die tatsächliche Lebenssituation des Patienten, ist nach eventuellen „Behandlungswünschen“ zu entscheiden. Diese können aus Äußerungen hervorgehen, die der Patient früher zu vergleichbaren Situationen wie der eigenen gemacht hat. „Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen“, heißt es in dem Karlsruher Urteil.
Auf den „mutmaßlichen Willen“ sei als Drittes nur abzustellen, wenn sich auch ein solcher „erklärter Wille nicht feststellen lässt“. Der „mutmaßliche Wille“ kann sich aus allgemeinen früheren Äußerungen ergeben. Auch dabei sei aber „nicht danach zu differenzieren, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht“, entschied der BGH.
Nach dem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 17. September 2014 soll im konkreten Fall das Landgericht nochmals prüfen, ob sich ein ausreichend gesicherter „mutmaßlicher Wille“ feststellen lässt, oder ob die Patientin vielleicht sogar konkrete „Behandlungswünsche“ geäußert hat. Nach Aussage einer Zeugin soll sie anlässlich des Wachkomas der Nichte einer Freundin gesagt haben, dass sie selbst im Wachkoma nicht künstlich am Leben erhalten werden wolle.
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