STEUERRECHT
Umdrehen zu Videobild in Gerichtsverhandlung unzumutbar
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BFH-Urteil: Anspruch auf rechtliches Gehör in Videokonferenzen - Details und Konsequenzen © Fotobi - stock.adobe.com
München (jur). Bei einer mithilfe einer Videokonferenz durchgeführten mündlichen Gerichtsverhandlung müssen Beteiligte zeitgleich die Richterbank und die anderen Beteiligten sehen und hören können. Muss sich ein Verfahrensbeteiligter um 180 Grad umdrehen, um einen auf Video zugeschalteten Beteiligten zu sehen, stellt dies einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit einen Verfahrensmangel dar, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) in München in einem am Donnerstag, 12. Oktober 2023, veröffentlichten Beschluss (IX B 104/22).
Im Streitfall wollte ein Geschäftsführer eines Unternehmens gerichtlich Einsicht in Akten des Finanzamtes erstreiten. Das Finanzgericht Münster führte eine mündliche Verhandlung durch, bei der der Kläger im Gerichtssaal persönlich anwesend, der Vertreter des Finanzamtes aber nur per Videokonferenz zugeschaltet war.
Für den Kläger gestaltete sich die Videokonferenz umständlich. Denn die Videoaufnahme des Finanzamtsvertreters wurde während der Verhandlung hinter dem Rücken des Klägers an die Wand projiziert. Um Richterbank und Behördenvertreter sehen zu können, musste der Kläger sich ständig um 180 Grad umdrehen.
Nachdem das Finanzgericht die Klage auf Akteneinsicht abgewiesen und die Revision zum BFH nicht zugelassen hatte, legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er rügte einen Verfahrensmangel. Denn während der Videoverhandlung habe er nicht zeitgleich die Richterbank und den Vertreter des Finanzamtes sehen können. Da er sich jedes Mal um 180 Grad zur Richterbank oder den Behördenvertreter drehen musste, habe er Mimik und Gestik aller Teilnehmer nicht vollständig wahrnehmen können.
Das Finanzamt meinte, dass dies für die Entscheidung des Finanzgerichts „völlig irrelevant“ sei.
Doch der BFH sah in dem Vorgehen tatsächlich einen Verfahrensmangel, so dass sich das Finanzgericht erneut mit dem Fall beschäftigen muss. Der Anspruch des Klägers auf „rechtliches Gehör“ sei verletzt worden. Zwar könne eine mündliche Verhandlung auch mithilfe einer Videokonferenz durchgeführt werden. „Das Geschehen muss vollständig übermittelt werden“, forderte der BFH.
Beteiligte müssten zeitgleich Richterbank und die anderen Beteiligten in Bild und Ton sehen und hören können. „Verbale und nonverbale Äußerungen müssen wie bei persönlicher Präsenz wahrnehmbar sein“, betonten die obersten Finanzrichter.
Diesen Anforderungen sei das Finanzgericht hier nicht gerecht geworden. Denn der Kläger habe sich jedes Mal um 180 Grad umdrehen müssen, wenn er Richterbank und das Video des Behördenvertreters sehen wollte. Das Hin- und Herschauen könne zudem dazu führen, dass der Kläger in seiner Konzentration auf den Prozessverlauf beeinträchtigt ist.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock