STRAFRECHT
Wer sich einer Verhandlung entzieht, will wohl nicht dabei sein
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Luxemburg (jur). Wenn sich mutmaßliche Straftäter bewusst ihrer Gerichtsverhandlung entziehen und das Gericht in Abwesenheit verhandelt, können sie später nicht eine weitere Verhandlung in ihrer Anwesenheit verlangen. Das hat am Donnerstag, 19. Mai 2022, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg klargestellt (Az.: C-569/20).
Im Streitfall soll sich der Angeklagte in Bulgarien an einer kriminellen Vereinigung zur Begehung von Steuerstraftaten beteiligt haben. Der Mann hatte eine erste Anklageschrift noch erhalten, war danach aber für das Gericht nicht mehr erreichbar. Wegen formaler Versäumnisse wurde das Verfahren eingestellt und mit einer neuen Anklageschrift wiedereröffnet. Der Angeklagte konnte aber weiterhin nicht aufgefunden werden.
Das Gericht nahm an, dass er flüchtig ist und will nun in seiner Abwesenheit verhandeln. Dazu legte es dem EuGH verschiedene Fragen vor.
Der bestätigte nun, dass Strafgerichte auch in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln dürfen, wenn dieser „trotz angemessener Bemühungen“ nicht auffindbar ist. Grundsätzlich könne der Angeklagte dann allerdings später eine erneute Verhandlung in seiner Anwesenheit verlangen.
Anderes gelte allerdings, wenn der Angeklagte Informationen über die anstehende Verhandlung erhalten hat und dann „durch vorsätzliche Handlungen und in der Absicht, sich dem Handeln der Justiz zu entziehen, die Behörden daran gehindert hat, sie offiziell über diese Verhandlung zu unterrichten“. Denn in solchen Fällen sei davon auszugehen, dass der Angeklagte „freiwillig und unmissverständlich auf die Wahrnehmung seines Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet hat“.
Dabei stützten sich die Luxemburger Richter auf eine EU-Richtlinie aus 2016 zur Unschuldsvermutung. Zur Begründung erklärten sie, ihre Auslegung wahre und stärke die Rechte der Angeklagten, schütze aber gleichzeitig die Justiz vor Missbrauch. Dabei sei es Sache der nationalen Gerichte zu prüfen, ob eine Person tatsächlich flüchtig ist, oder ob vielleicht die Bemühungen zur Ermittlung des Aufenthalts unzureichend waren oder Unterlagen zu spät verschickt wurden.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock