Noch im Kommunismus ernannte Richter können unabhängig sein
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Luxemburg (jur). Dass ein Richter in den osteuropäischen EU-Staaten noch zu kommunistischen Zeiten ernannt wurde, stellt seine Unabhängigkeit und Überparteilichkeit nicht infrage. Das hat am Dienstag, 29. März 2022. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zu Polen entschieden (Az.: C-132/20). Gleiches gilt danach in Polen für Richter, die der Landesjustizrat bis 2018 ernannt hat.
Anlass für das Verfahren ist ein Streit um Verbraucherkredite vor dem Obersten Gericht in Warschau. Das Oberste Gericht fragt sich, ob die drei Richter, die in der Vorinstanz beim Berufungsgericht mit dem Streit befasst waren, den EU-Anforderungen für die richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfüllen.
Denn einer war noch unter dem früheren kommunistischen Regime ernannt worden, zwei weitere zwischen 2000 und 2018 unter Beteiligung des Landesjustizrats. Das polnische Verfassungsgericht hatte 2017 entschieden, dass der Landesjustizrat in diesem Zeitraum nicht transparent und seine Zusammensetzung verfassungswidrig war.
Der EuGH entschied nun, dass die Berufung eines Richters zu Zeiten, als der jeweilige Mitgliedsstaat noch keine Demokratie war, „die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieses Richters bei der Ausübung seiner späteren richterlichen Funktionen nicht in Frage stellt“. Polen sei 2004 der EU und ihren Werten beigetreten, „ohne dass der Umstand, dass die polnischen Richter zu einem Zeitpunkt ernannt worden sind, zu dem dieser Mitgliedstaat noch keine Demokratie war, insoweit Schwierigkeiten bereitet hätte“. Irgendwelche Umstände, die anderweitig Zweifel an der Unabhängigkeit des Richters aufkommen ließen, gebe es offenbar nicht.
Bei den zwei Berufungsrichtern, die vor 2018 vom Landesjustizrat ernannt wurden, hatten die Luxemburger Richter ebenfalls keine Bedenken. Das polnische Verfassungsgericht habe 2017 zwar die Verfassungswidrigkeit der Zusammensetzung des Landesjustizrats festgestellt, habe sich dabei aber nicht zur Unabhängigkeit des Gremiums geäußert. Daher führe „diese Verfassungswidrigkeit als solche“ noch nicht zu zweifeln an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des damaligen Landesjustizrats und der Richter, an deren Ernennung er beteiligt war. Auch hier habe es offenbar keine weiteren Umstände gegeben, die Zweifel an dieser Unabhängigkeit hätten aufkommen lassen können.
Demgegenüber hatte der EuGH die nachfolgenden Justizreformen ab Frühjahr 2018 mehrfach kritisiert, unter anderem, weil der Landesjustizrat nun von der polnischen Abgeordnetenkammer gewählt wird und daher unter politischem Einfluss stehen könnte (so in einem Urteil zur Disziplinarkammer für Richterinnen und Richter vom 15. Juli 2021, Az.: C-791/19; JurAgentur-Meldung vom Folgetag).
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock