SOZIALRECHT
Eine Tablettenphobie ist kein Grund für eine Cannabis-Behandlung
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Stuttgart. Die Versorgung mit Cannabis kann nicht dadurch begründet werden, dass ein ADHS-Patient allein seine Angst vor „jeglicher Einnahme von Tabletten“ vorbringt. Das hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) in einem am Dienstag, 12. April 2022, bekannt gegebenen Urteil klargestellt. Es hat damit die Klage eines 42-jährigen Mannes abgewiesen. Dieser wollte sich wegen seiner seit der Kindheit bestehenden Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) mit Cannabisblüten behandeln lassen (Az.: L 11 KR 3804/21).
Er wurde als Kind dazu gezwungen, das ADHS-Medikament Ritalin einzunehmen. Im Alter von 13 Jahren beendete die Einnahme von Ritalin und rauchte Cannabis, um seine Beschwerden zu lindern. Im Mai 2020 beantragte er bei seiner Krankenkasse die Übernahme der Kosten für eine Cannabisblütenbehandlung. Nur so könne er ADHS und seine mittelschweren Depressionen kontrollieren.
Der Mann reichte eine psychiatrische Stellungnahme ein. Hierin wurde ihm bescheinigt, dass ihm die Bewältigung des Alltags ohne die Behandlung mit Cannabisblüten nicht möglich sei. Der Patient leide an einer Tablettenphobie, da er als Kind gezwungen wurde, Ritalin einzunehmen, sodass andere Medikamente nicht in Betracht kämen. Laut des Arztes werde es auch aus nervenärztlicher Sicht empfohlen, weil der Patient in den vergangenen 20 Jahren von Cannabis profitiert habe. Das einzige Problem sei die Illegalität der Cannabistherapie. Diese habe ihn allein in diesem Jahr bereits 3.000 Euro gekostet.
Von der Krankenkasse wurde der Antrag auf Übernahme der Kosten abgelehnt. Mit ADHS liege weder eine erforderliche „schwerwiegende Erkrankung“ vor, noch soll gemäß den aktuellen Empfehlungen Cannabis zur Behandlung dieser Krankheit eingesetzt werden. Stattdessen könne der Versicherte zurückgreifen auf Therapien der Psychopharmakologie und der Psychotherapie.
Das LSG sah dies in seinem Urteil vom 22. März 2022 ebenso. Die Abgabe von Cannabisblüten auf Kosten der Krankenkassen sei nur bei schwerwiegenden Erkrankungen möglich. Mit Psychopharmaka und Psychotherapie gebe es auch Behandlungsalternativen. Nur die Tablettenphobie, die vom Kläger als Begründung für die Behandlung mit Cannabis vorgebracht wurde, rechtfertige die Kostenübernahme durch die Krankenkassen nicht. Vom Arzt sei die Tablettenphobie auch nicht hinterfragt oder geprüft worden.
Darüber hinaus sei der behandelnde Psychiater nicht auf die Frage eingegangen, ob der Patient nach mehr als 20 Jahren Cannabiskonsums nicht mittlerweile süchtig geworden sei. Damit liege eine „begründete Einschätzung“ des Arztes hier nicht vor.
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