VERFASSUNGSRECHT
Empfohlene Impfungen sind „der Gesundheit des Kindes dienlich“
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Karlsruhe (jur). Die Nachweispflicht über eine Masernimpfung für Kinder in Kitas und Tagespflegeeinrichtungen ist verfassungsgemäß. Die Pflicht über einen ausreichenden Masernschutz für den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen wie einer Kita ist nicht nur der „Gesundheit der Kinder dienlich“, sie schützt auch vulnerable Menschen wie Schwangere und bezweckt, die Weiterverbreitung der Masern zu verhindern, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag, 18. August 2022, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvR 469/20 und weitere). Die Karlsruher Richter bekräftigten damit den hohen Stellenwert von Impfungen zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung.
Mehrere Eltern und ihre Kinder hatten Verfassungsbeschwerde gegen das seit März 2020 geltende Masernschutzgesetz eingelegt. Darin hatte der Gesetzgeber festgelegt, dass für alle nach 1970 geborenen Personen, die in einer „Gemeinschaftseinrichtung“ betreut werden oder dort tätig sind, der Nachweis eines ausreichenden Masernschutzes vorgelegt werden muss.
Dies gilt etwa für Kitas, Tagespflegeeinrichtungen, Schulen oder Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber. Ohne den Nachweis einer Masern-Impfung oder dem ärztlichen Zeugnis einer Masern-Immunität darf die betroffene Person dort nicht tätig oder betreut werden. Die Nachweispflicht gilt nicht für schulpflichtige Kinder.
Die beschwerdeführenden Eltern und Kinder rügten vor dem Bundesverfassungsgericht, dass mit dem Masernschutzgesetz ihr verfassungsrechtliches Elterngrundrecht und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit verletzt werde. Ungeimpfte Kinder würden in unverhältnismäßiger Weise von der Betreuung in einer Kita oder in einer Tagespflegeeinrichtung ausgeschlossen.
Hinzu komme, dass eine Masern-Impfung in Deutschland nur mit Kombinationsimpfstoffen möglich sei, die sich auch gegen Röteln, Mumps oder Windpocken richteten. Die Kinder seien damit für den Besuch einer Kita faktisch gezwungen, sich gegen mehrere Erkrankungen impfen zu lassen.
Doch das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem Beschluss vom 21. Juli 2022, dass die Nachweispflicht einer Masern-Impfung oder eines ärztlichen Zeugnisses über eine Masern-Immunität „angemessen und verhältnismäßig“ sei.
„Die Vornahme empfohlener Impfungen“ seien „der Gesundheit des Kindes dienlich“. Dem Eingriff in das Elternrecht komme „insoweit kein besonders hohes Gewicht zu“. Der Gesetzgeber habe „einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck, nämlich den Schutz vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung“ verfolgt.
Denn gerade vulnerable Menschen wie Schwangere und Säuglinge könnten sich nicht mit einer Masernimpfung schützen. Sie seien darauf angewiesen, dass in der Bevölkerung eine Herdenimmunität besteht. Dies sei bei einer Impfquote von 95 Prozent der Fall. Die gesetzliche Nachweispflicht über eine Masernimpfung solle Druck auf die Eltern ausüben, um die Impfquote zu erhöhen. Dies sei legitim. Denn „dem Schutz der Bevölkerung kommt ein hohes Gewicht zu“, entschieden die Verfassungsrichter.
Kinder mit fehlendem Masernschutz seien auch nicht gänzlich von einer Frühförderung ausgeschlossen. So könnten sie auch familienübergreifend „im selbstorganisierten privaten Bereich“ betreut werden.
Bereits am 27. April 2022 hatte das Bundesverfassungsgericht die im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte einrichtungsbezogene impf- beziehungsweise Nachweispflicht über eine Covid 19-Impfung für verfassungsgemäß erklärt (Az.: 1 BvR 2649/21; JurAgentur-Meldung vom 19. Mai 2022). Danach dürfen seit dem 16. März 2022 in Arztpraxen sowie weiteren Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen nur noch Personen arbeiten, die gegen Covid 19 geimpft oder davon genesen sind oder die eine Unverträglichkeit gegen die Impfung nachweisen. Der damit verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit sei zum Schutz „vulnerabler Personen“ gerechtfertigt und verhältnismäßig, so die Verfassungsrichter.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock