STRAFRECHT
Gefangene können für ihre Knastarbeit auf mehr Geld hoffen
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Gefangene können für ihre Knastarbeit auf mehr Geld hoffen © Symbolgrafik:© bibiphoto - stock.adobe.com
Karlsruhe (jur). Gefangene in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) müssen für ihre geleistete Arbeit einen „angemessenen“ Gegenwert erhalten, der für sie „unmittelbar erkennbar“ ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag, 20. Juni 2023, verkündeten Urteil klargestellt und die Vergütungsregelungen für Gefangene in Bayern und Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig erklärt. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot sei verletzt worden.
Die über 42.000 Häftlinge und Sicherungsverwahrte in deutschen Gefängnissen sind in den meisten Bundesländern zur Arbeit im Knast verpflichtet, in einigen Bundesländern ist die Arbeit freiwillig möglich. Die Höhe der Gefangenenbezahlung bemisst sich grundsätzlich auf neun Prozent des Durchschnittsverdienstes eines Arbeitnehmers. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S) erhalten Gefangene für ihre Arbeit damit einen Tagessatz von 13,86 Euro. Je nach geleisteter Arbeit kann der Stundenlohn variieren, so dass dieser derzeit laut BAG-S zwischen 1,33 Euro und 2,22 Euro beträgt. Auch freie Tage und eine vorzeitige Haftentlassung können Teil der Vergütung sein.
In den zwei aktuell entschiedenen Fällen ging es um einen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Mann, der in der bayerischen JVA Straubing in der Druckerei arbeitet, sowie um einen Gefangenen der JVA Werl in Nordrhein-Westfalen, der als Kabelzerleger tätig war. Beide hielten die Gefangenenvergütung für viel zu niedrig und klagten auf mehr Geld. Die weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegende Bezahlung verstoße gegen das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Resozialisierungsgebot.
Das Bundesverfassungsgericht stimmte dem zu. Die bayerischen und nordrhein-westfälischen Vergütungsregelungen seien verfassungswidrig. Der Strafvollzug müsse auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet sein. Die Gefangenen müssten auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Der Gesetzgeber müsse aufzeigen, wie die Arbeit tatsächlich zur Resozialisierung beiträgt.
Solle mit der Bezahlung von Gefangenenarbeit dem Häftling aufgezeigt werden, „dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist“, müsse der erhaltene Gegenwert für seine geleistete Arbeit „unmittelbar erkennbar“ sein.
Die Regelungen in Bayern und NRW würden dem nicht gerecht und seien widersprüchlich. Es fehle schon an einem Resozialisierungskonzept, wie die Arbeit die Gefangenen auf ein Leben nach der Haftentlassung vorbereitet. So sollen die Gefangenen mit ihrer sehr niedrigen Vergütung sich selbst in der JVA etwas kaufen können und sich aber auch an den Haftkosten beteiligen sowie Unterhalts- und Wiedergutmachungszahlungen leisten. Auch eine Schuldentilgung soll ihnen mit der Vergütung ermöglicht werden. Die Entlohnung sei aber so niedrig, dass diese Ziele „realitätsfern“ sind, rügte das Bundesverfassungsgericht. Generell sei eine Beteiligung an den Haftkosten aber möglich.
Die Höhe der Bezahlung von Gefangenenarbeit könne sich daran orientieren, ob die ausgeübte Beschäftigung als therapeutische Behandlung, als Erwerbsarbeit oder als notwendige, selbst ausgeführte Hausarbeit anzusehen ist. Auch das Qualifikationsniveau der Arbeit sei bei der Vergütungshöhe zu berücksichtigen.
Sollen Gefangene an den Kosten für erhaltene Gesundheitsleistungen beteiligt werden, brauche es ein Gesetz. Daran fehle es in Bayern und NRW. Allerdings gebe es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, dass die Arbeit von Gefangenen bei der Rentenversicherung berücksichtigt werden muss.
Die Verfassungsrichter beanstandeten auch, dass es an einer „wissenschaftlich begleiteten Evaluation der Resozialisierungswirkung von Arbeit und deren Vergütung“ fehle. Nur mit einer Evaluierung könne überhaupt festgestellt werden, inwieweit die Gefangenenarbeit und die dabei erhaltene Entlohnung zur verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Resozialisierung beitragen.
Das Urteil hat auch Bedeutung für die anderen Bundesländer, die vergleichbare Regelungen zur Gefangenenvergütung haben.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock