SCHADENSERSATZ UND SCHMERZENSGELD
Konzertveranstalter müssen Besucher vor gesundheitsschädlich lauter Musik schützen
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Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth verurteilte am 1.12.2004 die Veranstalter des „Open-Air-Konzertes“ der Gruppe Bon Jovi auf dem Zeppelin-feld/Nürnberg am 8.9.2000 zu Schadensersatz und Schmerzensgeld. Eine Besucherin des Konzertes hatte durch die übermäßige Lautstärke der Musik einen Hörschaden erlitten, und sowohl den lokalen als auch den überörtlichen Veranstalter auf Schadensersatz verklagt. Nach den Feststellungen des Gerichts verletzten die Beklagten die ihnen obliegende Verkehrssicherungspflicht zum Schutz von Konzertbesuchern vor gesundheitsschädlicher Lärmbelästigung schuldhaft, weil sie keinerlei Einfluss auf die Tontechniker der Band oder die Band selbst genommen hatten.
Die Klägerin stand während des Konzerts in der Mitte des Zuhörerfeldes und dort in einer Entfernung von ca. 3 bis 5 m zur nächsten Lautsprecherbox. Aufgrund der Lautstärke der Musik erlitt die Klägerin einen Hörschaden (Tinnitus) und musste sich in ärztliche Behandlung begeben.
Das Gericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.000 Euro und stellte fest, dass die Beklagten verpflichtet sind, sämtliche Schäden aus dem Vorfall vom 8.9.00 zu ersetzen. Ein Mitverschulden der Geschädigten nahm das Gericht nicht an. Sie durfte sich darauf verlassen, dass die Beklagten als Veranstalter eines großen Konzertes einer namhaften Musikgruppe alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Besucher vor körperlichen Schäden zu schützen. Schließlich musste sie nicht damit rechnen, dass in der Mitte des Zuschauerfeldes noch eine Beschallung vorlag, die die Gefahr gesundheitlicher Schäden mit sich brachte.
Das Gericht stellte in seiner Begründung fest, dass die Beklagten zwar die Pflicht, keine ge-sundheitsschädigend laute Musik zu spielen auf andere Personen hätten übertragen können, dies aber nicht wirksam getan hatten. Auf die Musiker selbst oder die Tontechniker hätte die Verkehrssicherungspflicht allerdings nicht übertragen werden können, weil diese in ihrer Stellung als „Lärmverursacher“ oder in ihrem Lager stehend schon objektiv nicht geeignet waren, die gebotenen Pflichten zu erfüllen.
Die Klägerin trug im Prozess vor:
Nach Beendigung des Konzerts habe sie nur noch „dumpfgehört“. Am nächsten Tag habe sie einen Druck und ein Pfeifen in ihrem Ohr verspürt. Sie habe sich daraufhin noch am 9. September 2000 in ärztliche Behandlung gegeben. Der sie notdienstärztlich behandelnde Arzt habe ein akutes Lärmtrauma mit einer lärmtraumatischen Innenohrschädigung und Tinnitus festgestellt. Sie sei darauf mit einer vierwöchigen Infusionstherapie behandelt worden und arbeitsunfähig gewesen. Die Gesundheitsschäden seien auf den Konzertbesuch und die damals vorhandene Lärmbelastung zurückzuführen.
Die Beklagten trugen im Prozess vor:
Die Verkehrssicherungspflicht habe auf Dritte delegiert werden dürfen. Für die Lautstärke des Konzerts sei der Tontechniker verantwortlich gewesen. Eine Überschreitung der zulässigen Lautstärke habe nicht stattgefunden. Auf die vorgenommenen Maßnahmen und die Beschallung hätten die Beklagten Veranstalter überhaupt keinen Einfluss gehabt. Die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie nicht gezwungen gewesen sei, sich 3 Stunden mit der von ihr selbst als „überlaut empfundener Musik“ beschallen zu lassen.
Aus der Begründung des Gerichts:
“Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin durch ein anlässlich des Konzertbesuchs erlittenes Lärmtrauma eine Schädigung des Innenohrs erlitten hat. (…) Die Beklagten verstießen gegen die ihnen als Konzertveranstalter gegenüber der Klägerin als Konzertbesucherin obliegende Verpflichtung zum Schutz vor Gehörschäden durch übermäßige Lautstärke der dargebotenen Musik.
Die Beklagten selbst haben – unstreitig – anlässlich der Durchführung des Konzertes keinerlei Maßnahmen getroffen, die geeignet waren, um die ihnen obliegende Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen. Die Beklagten berufen sich auf die Übertragung der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten. Dieser Einwand bleibt ohne Erfolg.
Die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten ist zwar grundsätzlich zulässig. Sie bedarf jedoch einer klaren Absprache, die die Sicherung der Gefahrenquelle zuverlässig garantiert. Erst dann verengt sich die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich allein Verantwortlichen auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht (BGH NJW 1996, 2646).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Beklagten selbst tragen vor, sie selbst hätten „überhaupt keinen Einfluss“ auf die Sicherungsmaßnahmen und die Beschallung gehabt. Welche verträglichen Vereinbarungen die Beklagten mit den Künstlern getroffen haben wollen, sind nicht vorgetragen. Der dazu angebotene Beweis durch Einvernahme der Zeugin X. war daher nicht zu erheben. Die Beklagten hatten danach nach ihrem eigenen Vortrag die ihnen obliegenden Pflichten an die Musiker bzw. den „amerikanischen Tontechniker“ in der Weise übertragen, dass sie sich jegliche Einflussnahme auf die Beschallung und auch deren Kontrolle genommen hatten. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die B-klagten in grober Weise gegen die ihnen obliegende Sorgfalt verstießen.
Ausgehend – wie nicht – von einer wirksamen Übertragung der Verkehrssicherungspflicht, ist festzustellen, dass den Beklagten der ihnen obliegende Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gelingen kann. Im Falle der wirksamen Übertragung der Verkehrssicherungspflicht hätten sich die Sorgfaltspflichten der Beklagten auf die Auswahl und Überwachung des Dritten verengt. Bei der Auswahl des Dritten hat sich der Geschäftsherr – hier die Beklagten – zu überzeugen, dass der Dritte die Fähigkeit, Eignung und Zuverlässigkeit besitzt, die zur Erfüllung der übernommenen Verpflichtung erforderlich ist (BGH NJW 2003, 288). Dies zu Grunde gelegt, sind die Darlegungen der Beklagten zur Person des Dritten nicht geeignet, diese tatsächlichen Voraussetzungen zu überprüfen. Die Beklagten haben die ihnen im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht obliegende Überwachung an die Musiker bzw. deren Tontechniker und damit auf die Gefahrenquelle selbst übertragen. Der ausgewählte Dritte war daher aufgrund seiner Stellung als „Lärmverursacher“ bzw. als in deren Lager Stehender schon objektiv nicht geeignet, die den Beklagten obliegende Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen.
Die Verletzung der den Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht ist ursächlich für die von der Klägerin anlässlich des Konzertbesuches erlittene Schädigung des Innenohrs. Es kommt nicht darauf an, ob Grenzwerte, etwa die Grenzwertre der DIN 1595-5, überschritten wurden. Insoweit spricht schon der Beweis des ersten Anscheins für die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schädigung, da sich der Eintritt der konkret festgestellten Schädigung des Innenohrs als typische Folge der in Rede stehenden Pflichtverletzung darstellt. Dies steht fest aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. I. im schriftlichen Gutachten vom 28. Juli 2004 und aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Dipl.Ing. S. anlässlich ihrer Anhörung im Termin vom 31. März 2004. Beide Sachverständige gehen davon aus, dass die bei der Klägerin festgestellten Symptome - ausgenommen die Drehschwindelsymptomatik – durch eine Lärmbelästigung anlässlich des Konzertbesuches erklärbar sind.
Eine anderweitige Verursachung der festgestellten Schädigung ist vorliegend nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Die Beklagten handelten schuldhaft, weil sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließen (§ 276 Abs. 2 BGB), da sie ihrer für sie als Konzertveranstalter ohne weiteres erkenn-baren Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen sind.“
(Urteil der 6. Zivilkammer vom 1.12.2004, Aktenzeichen 6 O 4537/04, nicht rechtskräftig.)
Siehe zur Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters von Konzerten mit lauter Musik auch: Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat, Urteil vom 13. März 2001, Az: VI ZR 142/00 abgedruckt in NJW 2001, 2019-2020; OLG Zweibrücken Urteil vom 26.8.1999, Az: 6 U 40/98 abgedruckt in NJW-RR 2001, 595. Zu einem Gehörschaden wegen Pistolenschusses im Verlauf einer Theateraufführung OLG Frankfurt/Main Urteil vom 29.7.2004 Az 1 U 254/03 abgedruckt in NJW 2004, 2833-2835.