SCHULRECHT
Länder dürfen Schulpflicht mit Geld- und Freiheitsstrafe durchsetzen
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Karlsruhe (jur). Die Schulpflicht darf mit Geld- und Haftstrafen gegen die Eltern durchgesetzt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag, 7. November 2014, veröffentlichten Beschluss entschieden (Az.: 2 BvR 920/14). Es bestätigte damit Sanktionsregelungen des Hessischen Schulgesetzes. Zur Begründung verwiesen die Karlsruher Richter auf den staatlichen Erziehungsauftrag zur Toleranz und das Interesse der Allgemeinheit, „Parallelgesellschaften“ zu verhindern.
Eltern, die ihre Kinder dauerhaft oder „hartnäckig wiederholt“ nicht zur Schule schicken, müssen in Hessen mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen rechnen. Tagessätze entsprechen dem auf einen Tag umgerechneten durchschnittlichen Einkommen des Verurteilten; 180 Tagessätze entsprechen demnach dem Einkommen von sechs Monaten.
Konkret bestätigte das Bundesverfassungsgericht eine Geldstrafe gegen ein Ehepaar in Nordhessen. Unter Berufung auf „festgefügte und unumstößliche“ Glaubens- und Gewissensgründe hatten sie bereits die älteren fünf ihrer insgesamt neun Kinder nicht zur Schule geschickt, sondern zuhause unterrichtet. Als auch nunmehr schulpflichtige drei weitere Kinder nicht zur Schule kamen, hatte das Amtsgericht Fritzlar am 22. Mai 2013 erneut eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je fünf Euro verhängt. Rechtsmittel vor den Zivilgerichten blieben ohne Erfolg.
Nun wies auch das Bundesverfassungsgericht die Eltern ab. Es nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Dabei bestätigte es zunächst, dass auch die Länder hier Strafnormen erlassen dürfen. Zwar stelle auch das Strafgesetzbuch des Bundes die „Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht“ unter Strafe. Diese Strafnorm sei aber sehr allgemein und mache keine Aussagen zur Schulpflicht. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder werde durch sie daher nicht verdrängt.
Auch inhaltlich sei es gerechtfertigt, die Schulpflicht mit Strafen durchzusetzen. Dies greife zwar in das Erziehungsrecht der Eltern und im konkreten Fall auch in die Glaubensfreiheit ein. Dem stehe aber der ebenfalls im Grundgesetz verankerte staatliche Erziehungsauftrag gegenüber. Daher sei es zulässig, Verstöße gegen die Schulpflicht mit Geld- oder auch Freiheitsstrafen zu sanktionieren.
Zur Begründung heißt es wörtlich in dem Beschluss: „Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten ‚Parallelgesellschaften’ entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Selbst ein mit erfolgreichen Ergebnissen einhergehender Hausunterricht verhindert nicht, dass sich die Kinder vor einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen verschließen, und ist deshalb nicht geeignet, die insbesondere in einer Klassengemeinschaft gelebte Toleranz gegenüber einem breiten Meinungsspektrum nachhaltig zu fördern.“
Das Bundesverfassungsgericht billigte auch, dass die Eltern mehrfach wegen Verletzung der Schulpflicht ihrer Kinder verurteilt wurden. Darin liege keine unzulässige Doppelbestrafung. „Eltern sind bezüglich jedes ihrer Kinder gefordert, deren Teilnahme am Unterricht zu gewährleisten“, heißt es in dem Karlsruher Urteil. Doch auch bezüglich eines einzelnen Kindes seien für verschiedene Zeiträume mehrere Strafen zulässig.
Im konkreten Fall sei die Strafe auch nicht unverhältnismäßig gewesen, so das Bundesverfassungsgericht abschließend in seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 15. Oktober 2014.
Gestützt auf die damit bestätigten hessischen Vorschriften hatte in einem anderen Fall das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main eine Mutter für sechs Monate ins Gefängnis geschickt (Urteil vom 18. März 2011, Az.: 2 Ss 413/10, JurAgentur-Meldung vom 12. April 2011).
Im Fall einer muslimischen Schülerin und eines Zeugen Jehovas hatte auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bereits entschieden, dass individuelle religiöse Vorstellungen und Tabus nicht zu einer Schulbefreiung führen können; andernfalls werde die allgemeine Schulpflicht untergraben (Urteile und JurAgentur-Meldung vom 11. September 2013, Az.: 6 C 25.12 und 6 C 12.12).
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