REISERECHT
Rollifahrer haben Vorrang beim Ein- und Ausstieg im Flugzeug
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Rollifahrer haben Vorrang beim Ein- und Ausstieg im Flugzeug © Symbolgrafik:© Racamani - stock.adobe.com
Karlsruhe (jur). Fluggesellschaften müssen Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit eingeschränkter Mobilität sowie ihre Begleitpersonen bei Flugreisen zuerst ein- und aussteigen lassen. Darf ein Rollstuhlfahrer erst als Letzter das Flugzeug verlassen und verpasst er deshalb seinen Anschlussflug, hat er nicht nur Anspruch auf Kostenerstattung für einen Ersatzflug, er kann bei einer mehr als drei Stunden verspäteten Ankunft am Ziel auch eine Ausgleichszahlung verlangen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Dienstag, 18. Juli 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: X ZR 84/22). Voraussetzung für den Anspruch auf eine Ausgleichszahlung sei aber, dass sowohl der erste Flug als auch der Anschlussflug einheitlich gebucht worden sind.
Die Kläger, ein Rollstuhlfahrer und seine Frau, hatten über das Internet für den 30. Mai 2019 Flüge von Frankfurt am Main über Budapest nach St. Petersburg gebucht. Zum Erreichen des vorgesehenen Anschlussflugs hatte es in Budapest 45 Minuten Zeit. Einen Rollstuhlbegleitservice, der beim Transfer hilft, buchte das Paar nicht.
Doch als die Kläger in Budapest landeten, durften sie trotz ihres Hinweises auf den baldigen Anschlussflug erst als Letzte das Flugzeug verlassen. Ihren Anschluss erreichten sie daraufhin nicht mehr. Die Fluggesellschaft bot auch keinen Ersatzflug an, so dass die Kläger auf eigene Kosten den Weiterflug organisierten. Sie kamen schließlich mit zehnstündiger Verspätung in St. Petersburg an.
Das Landgericht Frankfurt am Main urteilte am 23. Juni 2022, dass Fluggesellschaften Rollstuhlfahrer und andere in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen sowie ihre Begleitpersonen beim Ein- und Ausstieg vorrangig behandeln müssen (Az.: 2-24 S 173/21; JurAgentur-Meldung vom 23. August 2023). Dies schreibe die Fluggastrechteverordnung so vor. Die Kläger hätten daher Anspruch auf Kostenerstattung für das Ersatzflugticket, hier 227,27 Euro pro Person. Eine Ausgleichszahlung für die verspätete Ankunft in St. Petersburg könnten sie aber nicht beanspruchen. Der Anschlussflug sei ja nicht verspätet gewesen.
Der BGH hob mit Urteil vom 20. Juni 2023 diese Entscheidung auf und verwies das Verfahren an das Landgericht zurück. Zu Recht habe die Vorinstanz festgestellt, dass Fluggesellschaften Rollstuhlfahrer und andere, in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen sowie ihre Begleitpersonen beim Ein- und Ausstieg vorrangig behandeln müssen. Dürfe ein Rollstuhlfahrer wie im vorliegenden Fall erst als Letzter aus dem Flugzeug aussteigen und verpasse er deshalb seinen direkten Anschlussflug, sei die Fluggesellschaft für die erlittene Verspätung verantwortlich. Die Kläger könnten daher Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von hier 400 Euro pro Person haben.
Voraussetzung für die Ausgleichszahlung wegen der verspäteten Ankunft am Ziel sei aber, dass der erste Flug und der Anschlussflug einheitlich gebucht worden sind, so die Karlsruher Richter. Dies müsse das Landgericht noch einmal prüfen. Dagegen komme es nicht darauf an, ob die Kläger einen Rollstuhlbegleitservice für den Transfer gebucht haben oder nicht.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock