VERWALTUNGSRECHT
Schächterlaubnis (Schlachtung ohne Betäubung) für muslimischen Metzger
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Mit Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts der
Verfassungsbeschwerde eines türkischen muslimischen Metzgers stattgegeben,
der eine Ausnahmegenehmigung von dem allgemeinen gesetzlichen Verbot erstrebte,
Tiere ohne Betäubung zu schlachten (zu schächten). Der Hintergrund des Verfahrens ist
dargestellt in der Pressemitteilung Nr. 97/2001 vom 15. Oktober 2001,
die auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts nach gelesen werden
kann.
Der Erste Senat stellt fest, dass § 4 a des Tierschutzgesetzes
(TierSchG) verfassungsgemäß ist, seine Auslegung und Anwendung durch
die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte in den angegriffenen
Entscheidungen den Anforderungen des Grundgesetzes (GG) jedoch nicht
gerecht werden. Nach Absatz 1 dieser Norm ist das Schächten
grundsätzlich verboten. Absatz 2 eröffnet jedoch die Möglichkeit, aus
bestimmten - auch religiös motivierten - Gründen eine Aus
nahmegenehmigung zu erteilen. Im Ausgangsverfahren ging es um die
zweite Alternative der Nr. 2 dieses Absatzes; danach darf eine
Ausnahmegenehmigung nur erteilt werden, soweit es erforderlich ist, den
Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im
Geltungsbereich des Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende
Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft den Genuss von Fleisch nicht
geschächteter Tiere untersagen.
Der Senat stellt klar, dass das Schächten für einen muslimischen
Metzger in erster Linie eine Frage der Berufsausübung und nicht der
Religionsausübung ist. Ein gläubiger Moslem hat diese Tätigkeit
allerdings unter Beachtung religiöser Vorschriften auszuüben. Deshalb
ist das Grundrecht der Religionsfreiheit als Maßstab für die Auslegung
von Vorschriften, die die Berufsausübung einschränken, ergänzend und
deren Schutz verstärkend heranzuziehen. Das ändert jedoch nichts daran,
dass die Berufsausübungsfreiheit eingeschränkt werden kann. Hierbei ist
insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Danach ist § 4 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG mit
dem Grundgesetz verein bar. Der Gesetzgeber hat durch das allgemeine
Schächtverbot wie durch die Ausnahmeregelung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2
Alternative 2 TierSchG in zulässiger Weise den Belangen des
Tierschutzes Rechnung getragen. Seine Grundannahme, dass es Tieren
weniger Schmerzen und Leiden bereitet, wenn sie vor dem Schlachten
betäubt werden, ist zumindest vertretbar. Durch die Möglichkeit,
Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, wird aber auch den Grundrechten
muslimischer Metzger hinreichend Rechnung getragen, deren
Berufsausübung unter Beachtung ihrer religiösen Überzeugung so
ermöglicht wird. Sie können damit ihre muslimischen Kunden mit dem
Fleisch geschächteter Tiere beliefern und auf diese Weise in den Stand
setzen, Fleisch in Übereinstimmung mit ihrer Glaubensüberzeugung zu
verzehren.
Dies gilt allerdings nur, wenn § 4 a Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
TierSchG nicht wie seit einem Ur teil des Bundesverwaltungsgerichts vom
15. Juni 1995 (BVerwGE 99, 1) so ausgelegt und angewandt wird, dass die
Vorschrift für muslimische Metzger praktisch leer läuft. Ein solches
Ergebnis lässt sich durch eine verfassungsgemäße Auslegung der
Tatbestandsmerkmale "Religionsge meinschaft" und "zwingende
Vorschriften" vermeiden. Der Begriff der Religionsgemeinschaft ist,
wie inzwischen in einer neueren Entscheidung (BVerwGE 112, 227) auch
das Bundesverwaltungsgericht angenommen hat, nicht in dem Sinne zu
verstehen, dass es sich um eine Religions gesellschaft oder
-gemeinschaft im Verständnis des Art. 137 Abs. 5 der Weimarer
Reichsverfassung oder des Art. 7 Abs. 3 GG handeln müsste. Für die
Bewilligung einer Ausnahmegenehmigung vom Schächtverbot ist vielmehr
ausreichend, dass der Antragsteller einer Gruppe von Menschen angehört,
die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbindet. Als
Religionsgemeinschaften kommen im vorliegenden Zusammenhang deshalb
auch Gruppierungen innerhalb des Islam in Betracht, deren
Glaubensrichtung sich von derjenigen anderer islamischer Gemeinschaften
unterscheidet. Diese Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft
steht mit der Verfassung im Einklang und trägt insbesondere Art. 4 GG
Rechnung. Sie ist auch mit dem Wortlaut der genannten
tierschutzrechtlichen Vorschrift vereinbar und entspricht dem Willen
des Gesetzgebers. Dieser wollte die Ausnahmemöglichkeit nicht nur für
Angehörige der jüdischen Glaubenswelt, sondern auch für Mitglieder des
Islam und seiner unterschiedlichen Glaubensrichtungen eröffnen.
Mittelbar hat das Konsequenzen auch für die Handhabung des weiteren
Merkmals "zwingende Vorschriften", die den Angehörigen der Gemeinschaft
den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Ob dieses
Merkmal erfüllt ist, haben die Behörden und im Streitfall die Gerichte
zu entscheiden. Allerdings kann diese Frage bei einer Religion, die -
wie der Islam - unterschiedliche Auffassungen zum Schächtgebot
vertritt, nicht mit Blick auf den Islam insgesamt oder die sunnitischen
oder schiitischen Glaubensrichtungen dieser Religion beantwortet werden.
Die Frage nach der Existenz zwingender Vorschriften ist vielmehr für
die konkrete, gegebenen falls innerhalb einer solchen Glaubensrichtung
bestehende Religionsgemeinschaft zu beurteilen.
Dabei reicht es aus, dass derjenige, der die erstrebte
Ausnahmegenehmigung zur Versorgung der Mitglieder einer Gemeinschaft
benötigt, substantiiert und nachvollziehbar darlegt, dass nach deren
gemeinsamer Glaubensüberzeugung der Verzehr des Fleischs von Tieren
zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt. Ist eine solche
Darlegung erfolgt, hat sich der Staat, der ein derartiges
Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft nicht unberücksichtigt
lassen darf, einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnis zu enthalten.
Die Behörden und die Verwaltungsgerichte haben im Ausgangsverfahren die
Notwendigkeit und die Möglichkeit einer solchen Auslegung verkannt und
sind daher bei der Anwendung der Ausnahmeregelung vom Schächtverbot zu
Lasten des Beschwerdeführers zu einer unverhältnismäßigen
Grundrechtsbeschränkung gelangt. Der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts hat deshalb die angegriffenen
Gerichtsentscheidungen aufgehoben und die Sache an das
Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 15. Januar 2002 - Az. 1 BvR 1783/99 -