STRAFRECHT
Strafbarkeit der üblen Nachrede vs. Meinungsfreiheit (Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG)
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Vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen - Revision von zwei Journalisten der Wochenzeitung „N." in P. erfolgreich
Die beiden Angeklagten (der 46-jährige verantwortliche Herausgeber bzw. ein 42-jähriger Redakteur des in P. erscheinenden „N.“ - einer wöchentlich erscheinenden Zeitung, die kostenlos an etwa 12 000 Haushalte verteilt und über Anzeigen finanziert wird) veröffentlichten in der Ausgabe 19 des „N.“ im Juli 1999 unter der Überschrift „H.: Wer ist schuld am Giftmüll-Skandal?“ einen Beitrag, welcher sich mit Vorgängen um die Pforzheimer Mülldeponie befasste. In diesem war unter anderem die Rede, dass es dort jahrelang zu illegalen Ablagerungen von Giftmüll gekommen sei. Der P. Bürgermeister W. sei für die Deponie zuständig gewesen und hätte von den Unregelmäßigkeiten gewusst oder wissen müssen.
Das Landgericht Karlsruhe hat unter Bestätigung eines Urteils des Amtsgerichts P. vom 10.11.2000 hierin eine Straftat erblickt und die Angeklagten am 04.04.2001 wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) zum Nachteil des Bürgermeisters zu Geldstrafen von jeweils 50 Tagessätzen zu DM 50 (DM 2.500 = € 1278,23) verurteilt. Die Strafkammer des Landgerichts hat die Aussagen zur Zuständigkeit des Bürgermeisters für die Mülldeponie und zu den Giftmüllablagerungen als Tatsachenbehauptungen angesehen, die entweder unwahr (Zuständigkeit des Bürgermeisters) oder aber nicht erwiesen (illegale Giftmüllablagerungen) seien. Auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) könnten sich die beiden Journalisten nicht berufen, da sie ihren Artikel nicht sorgfältig recherchiert hätten.
Anders nun das Oberlandesgericht Karlsruhe. Der 1. Strafsenat hat in Abgrenzung zur Tatsachenbehauptung den Zeitungsartikel in seiner Gesamtaussage als Meinungsäußerung angesehen und damit insgesamt dem Grundrechtsschutz des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG (Meinungsfreiheit) unterstellt:
Zwar enthalte der Beitrag, wie vom Landgericht Karlsruhe zu Recht angenommen, durchaus Tatsachenbehauptungen, diese seien aber nicht geeignet gewesen, den Bürgermeister in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. So seien die (angebliche) Ablagerung von Giftmüll und die Frage, ob das Dezernat des Bürgermeisters für die Deponie zuständig sei, für sich gesehen nicht ehrenrührig. Erst durch die zusätzlich erfolgte Schuldzuschreibung hinsichtlich der nach Ansicht der Verfasser unzureichenden Beseitigung der Missstände sei der Achtungsanspruch des Bürgermeisters betroffen worden. Hierbei handle es sich aber um eine Meinungsäußerung, zumal die Frage der Verantwortlichkeit, wie sich aus der Überschrift des Artikels ergebe („H.: Wer ist schuld am Giftmüll-Skandal?“), letztendlich von den Verfassern offen gelassen worden sei.
Zwar unterliege - so der Senat - auch eine Meinungsäußerung Schranken und dürfe nicht gegen Strafgesetze verstoßen, bei der dabei gebotenen Abwägung der betroffenen Rechtsgüter genieße hier aber die Meinungsfreiheit den Vorrang. Bei dem Artikel handle es sich um eine Äußerung im öffentlichen Meinungsbildungsprozess in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage durch ein hierzu berufenes Presseorgan. Auch seien die Vorwürfe nicht vollkommen aus der Luft gegriffen gewesen, da der Bürgermeister Umweltdezernent der Stadt P. ist, die Deponie von der Stadt betrieben worden und es dort durchaus (früher) zu unerlaubten Abfallentsorgungen gekommen sei.
Der Senat hat daher das Urteil des Landgericht Karlsruhe aufgehoben und die Angeklagten insgesamt freigesprochen.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 26. Februar 2002, 1 Ss 166/01-
Hinweis: Die Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung kann im Einzelfall schwierig sein, zumal sich diese oftmals miteinander vermengen. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Richtigkeit der Aussage einer Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies ist bei einer bloßen Meinungsäußerung nicht möglich, weil diese durch das Merkmal der persönlichen Einschätzung geprägt ist. Meinungsäußerungen lassen sich daher nicht als wahr oder unwahr beweisen, sie sind vielmehr durch die Elemente der „Stellungnahme oder des Dafürhaltens“ gekennzeichnet.
Meinungsäußerungen stehen, auch wenn sie - wie hier - scharf und überspitzt formuliert sind, grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Qualität, insbesondere ihrer „Richtigkeit“, unter dem Schutz des Grundgesetzes und dürfen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, etwa wenn sie beleidigenden oder schmähenden Charakter haben, untersagt werden. Dies ist beispielsweise bei der sog. „Schmähkritik“ der Fall, bei welcher nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
Tatsachenbehauptungen sind hingegen dem Beweise zugänglich. Die bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung genießt nicht den Schutz der Meinungsfreiheit. Die „unrichtige Information“ ist kein schützenwertes Gut. Tatsachenbehauptungen fallen deshalb aber nicht in jedem Falle aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit heraus, da diese oftmals die Grundlage der Meinungsbildung sind. Beruht z.B. eine Reportage eines Journalisten auf einer sorgfältigen Recherche, so ist die Berichterstattung auch dann als zulässig anzusehen, wenn sich später die Unrichtigkeit der Information (Tatsachenbehauptung) herausstellt.
Wichtig: Über die Frage, ob tatsächlich auf der Deponie H. in P. Giftmüll abgelagert worden ist und in einem solchen Fall der Bürgermeister hierfür in irgendeiner Weise Verantwortung tragen könnte, hatte der Senat aufgrund der dargestellten Rechtslage nicht zu befinden. Für Beides hat das Landgericht Karlsruhe jedoch keine Hinweise gefunden.
Hinweis auf den Gesetzestext:
Art. 5 GG:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Dies Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) ...
§ 186 StGB:
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welchen denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht die Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.