ZIVILPROZESSRECHT
Keine Massenentschädigung bei Massenklagen
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Karlsruhe (jur). Bei Massenklagen müssen die Gerichte nicht jeden einzelnen Fall zügig betreiben. Ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer besteht nicht, wenn das Gericht in Musterverfahren die zugrundeliegenden Fragen klärt, heißt es in einem am Dienstag, 10. März 2015, veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe (Az.: III ZR 141/14). Es wies damit eine Entschädigungsklage von Erwin Zacharias ab, führender Mitbegründer der insolventen Göttinger Gruppe.
Die Göttinger Gruppe zählte in den 1990er Jahren zu den größten deutschen Kapitalanlagegesellschaften. Verkauft wurden insbesondere sogenannte atypische stille Beteiligungen an verschiedenen Unternehmen. Bei solchen Beteiligungen sind die Gesellschafter nicht nur an Gewinnen, sondern zumindest im Umfang ihrer Einlagen auch an allen Verlusten beteiligt. Es droht daher ein vollständiger Verlust des gesamten Geldes.
Im Juni 2007 ging die Göttinger Gruppe in die Insolvenz. 250.000 Anleger müssen danach mit Verlusten von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro rechnen.
Vor dem Landgericht Göttingen führte dies zu einer Klagewelle. Bereits bis Ende 2008 gingen 2.441 Klagen gegen Zacharias ein, ab 2009 kamen nochmals rund 1.600 Klagen hinzu. Die insgesamt rund 4.000 klagenden Anleger werfen der Göttinger Gruppe fehlerhafte Darstellungen in den Anlageprospekten vor.
Das Landgericht sichtete die Klagen und wählte im April 2008 acht exemplarische Fälle als Musterverfahren aus. Gleichzeitig entschied das Gericht, die anderen Klagen vorerst ruhen zu lassen.
Als Ende 2011 die Entschädigungsregelungen wegen „unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens“ in Kraft traten, witterte Zacharias offenbar Hoffnung auf einen neuen Geldsegen. Er wählte seinerseits zehn der ruhenden Verfahren als Musterfälle aus und machte unnötige Verfahrensverzögerungen im Umfang von jeweils 47 beziehungsweise 48 Monaten geltend. Weil die Regelentschädigung 100 Euro je Verzögerungsmonat beträgt, forderte Zacharias vom Land Niedersachsen nur für die ausgewählten zehn Verfahren zusammen 47.900 Euro.
Doch wie schon das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig wies nun auch der BGH die Klage ab. Das Landgericht habe sich mit „mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl von gleich gelagerten Schadensersatzklagen“ konfrontiert gesehen. In solch einer Situation nach Sichtung der Fälle Musterverfahren auszuwählen, sei „sachgerecht“ gewesen, betonte der BGH. „Dadurch konnten Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden.“
Den Einwand, ein Gericht müsse alle Klagen gleichberechtigt betreiben, ließen die Karlsruher Richter nicht gelten. Dies verkenne „die Besonderheiten sogenannter Massenverfahren, die ohne die Durchführung von Pilotverfahren regelmäßig nicht sachgerecht bewältigt werden können“. Zudem hätten Richter einen weiten organisatorischen Spielraum. Dies umfasse das Recht, einzelne Verfahren aus sachlichen Gründen vorzuziehen, auch wenn dies „naturgemäß zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt“, heißt es in dem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 12.Februar 2015.
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