ARZTHAFTUNGSRECHT
Leitlinien im Geburtsschadensrecht – Leitlinien als maßgeblicher Facharztstandard im Geburtsschadensrecht?
Im Fall eines Geburtsschadens stellt sich die Frage, ob sog. Leitlinien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) wegen ihres abstrakten Regelungsgehalts geeignet sind, einen Behandlungsfehler in dem individuellen Geburtsschadenfall anzunehmen, wenn nämlich der behandelnde Arzt von einer Leitlinie abweicht.
Die AWMF berät über grundsätzliche und fachübergreifende Angelegenheiten und Aufgaben, erarbeitet Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese gegenüber den damit befassten Institutionen, insbesondere auch im politischen Raum (vgl. zu Aufgaben und Zielen der AWMF unter http://www.awmf.org/): Neben den - angesichts der zunehmenden Spezialisierung immer dringenderen - Aufgaben der inneren Zusammenarbeit will sie damit die Interessen der medizinischen Wissenschaft verstärkt nach außen zur Geltung bringen.
AWMF-Leitlinien sind jedenfalls im Geburtsschadenrecht eine zu beachtende Erkenntnisquelle, allerdings nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall den maßgeblichen Facharztstandard wiedergeben. Der behandelnde Arzt schuldet im Geburtsschadensrecht aufgrund des Behandlungsvertrages die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung berufsfachlich gebotene Sorgfalt. Der Maßstab der erforderlichen Sorgfalt richtet sich nach objektiv-typisierenden Merkmalen. Subjektiv-individuelle Merkmale müssen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.
Maßgebend sind im Geburtsschadensrecht die im Fachgebiet vorausgesetzten Fähigkeiten, die dort zu erwartenden Kenntnisse und Fertigkeiten. Dahinter zurückbleibende persönliche Möglichkeiten des behandelnden Arztes bleiben grundsätzlich außer Betracht. Im Falle von Spezialkenntnissen, die über die Kenntnisse eines erfahrenen Facharztes hinausgehen, muss der behandelnde Arzt diese besonderen Kenntnisse und/ oder Fähigkeiten zugunsten der Patienten anwenden.