STAATSRECHT
Bayerisches Verfassungsschutzgesetz teilweise verfassungswidrig
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Karlsruhe (jur). Wesentliche Teile des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes sind verfassungswidrig. So sind etwa die Online-Durchsuchung, der Einsatz von V-Leuten oder die „Wohnraumüberwachung“ mit dem Grundgesetz unvereinbar und gelten mit Einschränkungen nur bis spätestens 31. Juli 2023 weiter fort, urteilte am Dienstag, 26. April 2022, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Az.: 1 BvR 1619/17). Die Bestimmung zur Auskunft von Telekommunikationsdatenanbietern über Verkehrsdaten aus der Vorratsdatenspeicherung seien zu unklar und damit nichtig.
Vor das Bundesverfassungsgericht waren mehrere Personen gezogen, die Mitglieder oder Funktionsträger von im Bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnten Organisationen sind, etwa der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Im aktuellen Verfassungsschutzbericht ist der VVN-BdA Bayern nicht mehr als „linksextremistische Organisation“ aufgeführt.
Grundlage der in Bayern durchgeführten Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörde ist das Bayerische Verfassungsschutzgesetz. Dieses sieht umfangreiche Überwachungs-, Weiterverarbeitungs- und Übermittlungsbefugnisse vor. Dazu gehört etwa die Erhebung von Telekommunikations-Vorratsdaten, ein „Großer Lauschangriff“, so dass der Verfassungsschutz mit technischen Mitteln eine Wohnung überwachen kann, aber auch „Online-Durchsuchungen“ mithilfe eines „Staatstrojaners“ oder der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass Teile des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und unverhältnismäßig sind. Zwar dürfe der Gesetzgeber für eine Verfassungsschutzbehörde andere Voraussetzungen für eine heimliche Überwachung vorsehen als bei Polizeibehörden. So sei eine Verfassungsschutzbehörde nicht an das Vorliegen einer Gefahr im polizeilichen Sinne gebunden.
„Auf der anderen Seite setzt aber die Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen durch eine Verfassungsschutzbehörde an andere Stellen ... ausnahmslos voraus, dass die Übermittlung dem Schutz eines besonderen Rechtsguts dient“, so Gerichtspräsident Stephan Harbarth.
Der Gesetzgeber müsse die „Maßgaben zur jeweils erforderlichen Beobachtungsbedürftigkeit hinreichend bestimmt und normenklar regeln“, heißt es in dem Urteil. Je nach Eingriffsintensität in die Grundrechte einer zu beobachtenden Person könne eine Vorabkontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige Stelle nötig sein.
Dem werde das Bayerische Verfassungsschutzgesetz nicht gerecht. Die darin eingeräumten Befugnisse für die Verfassungsschutzbehörde verstießen teilweise gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis und gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung.
So sei etwa die Bestimmung zur „akustischen und optischen Wohnraumüberwachung“ verfassungswidrig. Das Grundgesetz erlaube diese nur „zur Abwehr dringender Gefahren“. Diese Einschränkung sehe das bayerische Verfassungsschutzgesetz nicht vor.
Auch eine „Online-Durchsuchung“ dürfe nur zur „Abwehr“ „einer mindestens konkretisierten Gefahr im polizeilichen Sinne zugelassen werden“. Das eingeräumte Recht auf Ortung von Mobilfunkgeräten sei ebenfalls nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da damit Bewegungsprofile der Betroffenen erstellt werden könnten. Hierfür hätte der Gesetzgeber klar regeln müssen, unter welchen Bedingungen solch eine Mobilfunkortung zulässig ist.
Gleiches gelte für den Einsatz von V-Leuten. Es fehle an spezifischen Anforderungen, etwa zur zulässigen Dauer solch eines Einsatzes. Inwieweit Telekommunikationsanbieter Auskunft über Verkehrsdaten aus einer Vorratsdatenspeicherung geben müssen, sei ebenso unklar geregelt, rügte das Bundesverfassungsgericht.
Zudem sehe das Bayerische Verfassungsschutzgesetz die verdeckte Überwachung einer Person mit technischen Mitteln durchgehend länger als 48 Stunden oder an mehr als drei Tagen innerhalb von einer Woche vor. Dies verstoße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, da nicht klar geregelt sei, unter welchen Voraussetzungen solch eine Überwachung zulässig ist. Eine nötige Regelung zur unabhängigen Vorabkontrolle sei nicht im Gesetz enthalten.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock