SOZIALRECHT
Kein Kindergeld nach Umzug zum Pflegebruder
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Stuttgart (jur). Übernimmt der Sohn einer Pflegemutter eines volljährigen behinderten Kindes dessen Betreuung, so hat er zunächst keinen Anspruch auf Kindergeld. Das hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am Dienstag. 18. August 2015, veröffentlichten Urteil entschieden (Az.: 13 K 4131/13).
Danach scheidet der Kindergeldanspruch aus, wenn das behinderte Kind erst seit kurzem umgezogen ist. Der Begründung nach ist das Urteil daher wohl auch auf Fälle übertragbar, in denen leibliche Geschwister eines Behinderten dessen Betreuung von den Eltern übernehmen.
Kindergeld wird regulär bis zum 18. Geburtstag gezahlt, danach bis zum 25. Geburtstag, solange sich das Kind noch in einer Ausbildung befindet. Eltern und auch langjährige Pflegeeltern behinderter Kinder können auch noch danach, faktisch lebenslang, Kindergeld bekommen, wenn und solange das Kind „wegen“ seiner Behinderung nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann.
Im Streitfall geht es um eine heute 55-jährige behinderte Frau. Ihr „Intelligenzalter“ entspricht dem eines knapp achtjährigen Kindes. Sie arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen, kann aber nicht selbst für sich sorgen. Im Rahmen des betreuten Wohnens lebte sie seit 1993 bei einer Pflegefamilie. Deren Mutter ist inzwischen nicht mehr in der Lage, die Behinderte zu pflegen und ausreichend zu betreuen. Daher erklärten sich der heute 53 Jahre alte Sohn und „Pflegebruder“ sowie dessen Ehefrau bereit, die Behinderte in ihrem nur drei Fußminuten entfernten Haus aufzunehmen.
Nach dem Umzug im April 2013 stellte er einen Antrag auf Kindergeld. Er argumentierte, dass er wie seine Mutter die Behinderte seit 20 Jahren kenne und ebenfalls enge Bindungen zu ihr habe. Die Aufnahme sei auf Dauer angelegt, die leiblichen Eltern der Behinderten seien bereits gestorben.
Dennoch lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag ab – zu Recht, wie nun das FG in seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 10. Juni 2015 entschied.
Zur Begründung erklärten die Stuttgarter Richter, der Kindergeldanspruch für Volljährige setze ein „familienähnliches Band“ voraus. Dafür reiche auch ein über die Pflege und Unterstützung hinausgehendes „hohes Maß an persönlicher Zuwendung gegenüber einem geistig oder seelisch behinderten Menschen“ nicht automatisch aus.
Voraussetzung sei ein „Betreuungs- und vor allem Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern“, heißt es in dem Stuttgarter Urteil. Bei Volljährigen sei ein solches „Autoritätsverhältnis“ in der Regel nur möglich, wenn das behinderte Kind den geistigen Entwicklungsstand eines Minderjährigen hat.
Dies sei hier zwar der Fall, und der Kläger habe die behinderte Frau auch familienähnlich in seinen Haushalt aufgenommen. Weitere Voraussetzung sei aber, dass eine solche Bindung und Beziehung „bereits über einen längeren Zeitraum bestanden hat“. Daran fehle es hier. Der Kläger habe die behinderte Frau im April 2013 in seinem Haus aufgenommen und in November 2013 den Kindergeldantrag gestellt. Nach nur sieben Monaten könne aber „(noch) nicht von einer über einen längeren Zeitraum andauernden Bindung ausgegangen werden“.
Nach dem Stuttgarter Urteil bleibt die langjährige geschwisterähnliche Bindung außen vor. Das FG beharrte vielmehr darauf, „dass das geforderte familienähnliche Band einem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechen muss“. Davon sei auch trotz der intensiven Unterstützung, die der Kläger gerade in der Zeit vor dem Umzug seiner Mutter bei der Betreuung gab, nicht auszugehen.
Im Streitfall stehe einer familienähnlichen Bindung auch entgegen, dass der Kläger die Behinderte im Rahmen des „Betreuten Wohnens in Familien“ aufgenommen habe. Danach gebe es Unterstützung ebenso wie Kontrolle durch einen Sozialträger, und dem Kläger und seiner Frau stünden eine „Entlastungszeit“ zu, in denen die Behinderte anderweitig untergebracht und versorgt werden muss.
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