INTERNETRECHT
Portalbetreiber haften nicht für Kommentare der Nutzer
Experten-Branchenbuch.de,
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Straßburg (jur). Nachrichtenportale haften nicht für die Kommentare ihrer Nutzer. Ihre Bereitschaft, unzulässige Kommentare auf entsprechenden Hinweis zu löschen, reicht aus, urteilte am Dienstag, 2. Februar 2016, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu einem Streit in Ungarn (Az.: 22947/13). Ausnahmen kann es danach nur bei Hasstiraden und Gewaltaufrufen geben. Indirekt bestätigte der EGMR damit auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Mit dem Ziel der Selbstregulierung und -kontrolle des Internets wurde 2001 in Budapest die „Vereinigung der ungarischen Internetanbieter (MTE) gegründet. 2010 warnte MTE auf ihren Internetseiten vor Anzeigen auf zwei Internetplattformen für Immobilienbesitzer. Die dort angebotenen kostenlosen Anzeigen für 30 Tage gingen danach in einen kostenpflichtigen Auftrag über, ohne dass die Kunden vorab eine entsprechende Information erhielten. „Index“, eines der führenden ungarischen Nachrichtenportale, berichtete darüber.
Bei MTE wie auch Index konnten Nutzer Kommentare zu den Meldungen einstellen. In ihren Geschäftsbedingungen weisen beide darauf hin, dass sie für diese Kommentare nicht haften, dass sie aber nach entsprechenden Hinweisen beleidigende oder anderweitig unzulässige Kommentare löschen.
Die Meldungen über die Immobilien-Plattformen lösten heftige, teils beleidigende und vulgäre Kommentare aus. Statt sich mit der Bitte um Löschung an MTE und Index zu wenden, zog der Betreiber der Immobilien-Plattformen direkt vor Gericht. MTE und Index wurden zu Geldbußen von jeweils umgerechnet rund 250 Euro verurteilt. Verfassungsbeschwerden hatten keinen Erfolg.
Doch damit haben die ungarischen Gerichte das Grundrecht auf Meinungsfreiheit unzureichend gewichtet, urteilte nun der EGMR. Zwar sei es ein zulässiges Anliegen der ungarischen Gerichte gewesen, den Betreiber der Immobilien-Plattformen vor rufschädigenden Beleidigungen zu schützen. Doch dem stehe die Meinungsfreiheit gegenüber.
Portalbetreiber, die ihren Nutzern Kommentare ermöglichen, müssten ohne Hinweis daher nur hasserfüllte Beiträge, Aufrufe zu Gewalt und persönliche Bedrohungen sofort löschen. Entsprechende Gerichtsentscheidungen oder gesetzliche Vorgaben verstießen jedenfalls nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, so der EGMR. Er bekräftigte damit eine eigene Entscheidung aus 2015 zu einem Nachrichtenportal in Estland (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 16. Juni 2015, Az.: 64569/09).
Den neuen ungarischen Fall grenzten die Straßburger Richter aber deutlich davon ab. Hier habe es weder Hassausdrücke noch Aufrufe zu Gewalt gegeben. Die beanstandeten Beiträge seien nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen. Es habe sich um Meinungsäußerungen gehandelt, die grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit geschützt seien.
Dies hätten die ungarischen Gerichte nicht berücksichtigt und erst recht nicht angemessen gegen die Interessen des Betreibers der Immobilien-Plattformen abgewogen, rügte der EGMR. Zudem könne eine Haftung für jegliche Nutzerkommentare dazu führen, dass Portalbetreiber wie MTE und Index ihre Kommentarfunktionen und Diskussionsforen schließen müssen.
Alles in allem sei es ein guter Ausweg und Kompromiss, wenn Portalbetreiber nach einem entsprechenden Hinweis Kommentare gegebenenfalls löschen. Dies hätten hier MTE wie auch Index angeboten.
Dieser Kompromiss und Interessenausgleich entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (so etwa zu einem Hotel-Bewertungsportal, Urteil und JurAgentur-Meldung vom 19. März 2015, Az.: I ZR 94/13 sowie zu einem Arzt-Bewertungsportal, Urteil und JurAgentur-Meldung vom 1. Juli 2014, Az.: VI ZR 345/13).
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage