STRAFRECHT
Zum Schriftformerfordernis bei der Einlegung eines Einspruchsgegen einen Strafbefehl
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Die Verfassungsbeschwerde eines Beschuldigten (Beschwerdeführer - Bf),
der sich gegen die Verwerfung seines Einspruchs gegen einen Strafbefehl
und die Zurückweisung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in den
vorherigen Stand wehrte, hatte Erfolg. Die 3. Kammer des Zweiten Senats
des Bundesverfassungsgerichts bestätigt die verfassungsgerichtliche
Rechtsprechung, wonach die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung
verfahrensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den
Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus
Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschweren dürfen.
1. Der Bf hatte gegen einen Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart (AG)
am letzten Tag der Frist per Telefaxschreiben Einspruch eingelegt und
zugleich die Übersendung des Einspruchsschreibens per Post am selben
Tag angekündigt. Die Telefaxschreiben enthielten unter anderem den
maschinenschriftlichen Namen des Bf, aber keine Unterschrift. Er hatte
die Telefaxschreiben mit Hilfe seines Computers ohne Ausdruck
unmittelbar an das AG geschickt. Vier Tage später ging ein von ihm
unterzeichnetes Einspruchsschreiben beim AG ein. Ferner beantragte der
Bf vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das AG verwarf
den Einspruch als unzulässig. Das Telefax habe die Schriftform, der
vier Tage später eingegangene Einspruch die Frist nicht eingehalten.
Der Bf sei auch nicht unverschuldet an der rechtzeitigen Erhebung des
Einspruchs gehindert gewesen, weshalb auch der Wiedereinsetzungsantrag
erfolglos blieb. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das
Landgericht Stuttgart (LG). Mit der Verfassungsbeschwerde (Vb) rügt der
Bf, dass diese Auslegung des Schriftlichkeitserfordernisses ihm die
Möglichkeit des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren nehme und
den ersten Zugang zum Gericht versperre.
2. Die Kammer hat die Entscheidung des LG aufgehoben, weil sie der
Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen
Rechtsschutzgarantien nicht gerecht wird. Die Sache wurde an das LG zur
Entscheidung über die Beschwerde zurückverwiesen.
Die Kammer hebt zunächst die große praktische Bedeutung des
Strafbefehlsverfahrens für die Strafrechtspflege hervor. Dieses macht
es - vielfach auch im Interesse des Beschuldigten - möglich, auf
vereinfachtem Weg zu einer Entscheidung zu gelangen, die einem
rechtskräftigen Urteil gleichsteht. Der Beschuldigte kann durch bloßen
Einspruch die Durchführung der Hauptverhandlung erzwingen. Dies
verbürgt seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und den Zugang zum
Gericht.
Nach Art. 19 Abs. 4 GG hat der Bürger Anspruch auf eine tatsächlich
wirksame gerichtliche Kontrolle von Akten der öffentlichen Gewalt. Der
Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert das Recht, sich in einem
gerichtlichen Verfahren zu äußern und vom Richter zur Sache gehört zu
werden. Diese beiden verfassungsrechtlichen Garantien schließen es
allerdings nicht aus, dass die Prozessordnungen ein
Rechtsschutzbegehren von der Einhaltung formeller Voraussetzungen
abhängig machen. Dies gilt auch für die in der Strafprozessordnung
vorgesehene Schriftform des Einspruchs. Sie dient der Rechtssicherheit
und belastet den Beschuldigten nicht unzumutbar. Auch die Gerichte
müssen bei der Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher
Vorschriften den Grundsatz rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung
beachten. Sie dürfen dabei keine überspannten Anforderungen stellen.
Diesem Maßstab entspricht die angegriffene Entscheidung nicht. Dem
Schriftformerfordernis wird zwar grundsätzlich dadurch Genüge getan,
dass ein Schriftstück handschriftlich vom Absender unterzeichnet wird.
Es wird jedoch nicht in jedem Fall verletzt, wenn das Schriftstück
nicht handschriftlich unterzeichnet ist, sondern mit dem
maschinenschriftlich geschriebenen Namen des Beschwerdeführers
schließt. Zweck der Schriftform ist es, den Inhalt der Erklärung und
die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig deutlich zu
machen. Ferner soll sie sicherstellen, dass das Schriftstück mit Wissen
und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird. Davon
ausgehend hält die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in
Strafsachen die eigenhändige Unterzeichnung nicht für eine wesentliche
Voraussetzung der Schriftlichkeit. Vielmehr verzichtet der BGH auf eine
eigenhändige Unterschrift, wenn aus dem Schriftstück ansonsten in einer
jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die
Erklärung herrührt und dass kein bloßer Entwurf vorliegt. Dieser
fachgerichtlichen Rechtsprechung folgt auch das
Bundesverfassungsgericht.
Deshalb hätte das Ausgangsgericht prüfen müssen, ob der mit dem
Faxschreiben erhobene Einspruch vom Bf herrührte und dieser ihn mit
Wissen und Wollen in den Verkehr gebracht hat. Darauf deuten die in dem
Schreiben enthaltenen Daten hin, die in der Regel allein dem
Betroffenen bekannt sind. Eine solche an den Umständen des Einzelfalls
orientierte - vom Ausgangsgericht jedoch unterlassene - Prüfung war zur
Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Nur mit dem Einspruch
konnte sich der Beschwerdeführer in einer Hauptverhandlung erstmals
umfassend rechtliches Gehör verschaffen.
Ausdrücklich weist die Kammer darauf hin, dass in Prozessen mit
Vertretungszwang bestimmende Schriftsätze formwirksam durch
elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter
Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden können.
Das heißt jedoch nicht, dass die Person des Erklärenden nicht auch bei
einer anderen Gestaltung des Faxschreibens eindeutig bestimmt werden
kann.
Schließlich hätte dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt werden müssen. Das LG hat die Voraussetzungen hierfür
überspannt, wenn es von dem Beschwerdeführer verlangt, dieser habe sich
kundig machen müssen, ob seine Vorgehensweise den Anforderungen der
deutschen Rechtsordnung genüge.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. Juli 2002 - Az. 2 BvR 2168/00 -