STRAFRECHT
Recht auf gerichtliche Videobefragung für Missbrauchsopfer angemahnt
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Karlsruhe (jur). Für Opfer von sexuellem Missbrauch führt eine Zeugenaussage vor Gericht im Angesicht des Angeklagten oft zu einer erneuten Traumatisierung. In solch einem Fall darf das Gericht den Wunsch nach einer alternativen Videobefragung der Zeugin nicht einfach ablehnen, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag, 28. Februar 2014, veröffentlichten Beschluss vom Vortag (Az.: 2 BvR 261/14). Die Karlsruher Richter ordneten damit an, dass die Beschwerdeführerin vorerst nicht persönlich als Zeugin in einem Strafverfahren wegen Vergewaltigung aussagen muss.
Konkret ging es um die Anklage gegen einen Kaufmann vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 34-Jährigen vor, zwischen August 2007 und März 2013 acht Frauen bei Verabredungen heimlich „bewusstseinstrübende Substanzen“ in Getränken verabreicht zu haben, um sich sexuell an ihnen zu vergehen.
Die Frauen seien wegen der Drogen benebelt und teilweise auch ohnmächtig gewesen. Sechs seiner Opfer soll er dann vergewaltigt haben.
Der Angeklagte bestreitet, dass er sich die Frauen gefügig gemacht und vergewaltigt hat. Sie hätten vielmehr dem Sex zugestimmt.
In dem Strafverfahren hatte das Landgericht Waldshut-Tiengen die Frauen zur Zeugenvernehmung im Gerichtssaal geladen. Doch eine sah sich psychisch dazu nicht in der Lage. Sie könne ihrem Peiniger nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Bereits die Befragung der Polizei habe sie „aus den Bahnen“ geworfen.
Die Frau beantragte daher eine Befragung per Videoübertragung. Sie untermauerte ihren Antrag mit einer Stellungnahme einer Psychiaterin, die durch die persönliche Befragung im Gerichtssaal eine erneute Traumatisierung und eine „längerfristige seelische Destabilisierung“ befürchtete.
Nach der Strafprozessordnung ist eine Vernehmung per Videoübertragung im Ausnahmefall möglich, wenn wegen der persönlichen Befragung „schwerwiegende Nachteile für das Wohl des Zeugen“ drohen. Bei einer solchen „audiovisuellen Vernehmung“ befindet sich der Zeuge während der Verhandlung in einem Nebenraum und wird befragt.
Doch das Landgericht lehnte den Antrag der Frau ab. Grundsätzlich sei zwischen der psychischen Gesundheit der Frau und der gerichtlichen Aufklärungspflicht und dem Verteidigungsinteresse des Angeklagten abzuwägen, so das Landgericht. Hier stünde aber Aussage gegen Aussage gegenüber, so dass es besonders auf die Glaubwürdigkeit der Zeugin ankomme. Das Gericht müsse daher die „ungehinderte Wahrnehmung der nonverbalen Ausdrucksweise“ der Zeugin beurteilen können. Eine Videobefragung werde dem nicht gerecht.
Um die Befragung so schonend wie möglich zu machen, könne ja die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen werden. Auch der Angeklagte könne so platziert werden, dass die Zeugin diesen nicht sehe.
Doch dabei machte das Bundesverfassungsgericht nicht mehr mit. Das Landgericht habe die möglichen Folgen für die Zeugin, eine erneute Traumatisierung, nicht ausreichend berücksichtigt. Es drohe ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. So habe die Frau bereits im Zuge der polizeilichen Ermittlungen eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten.
Bis zur Entscheidung in der Hauptsache dürfe das Landgericht die Beschwerdeführerin nicht zu einer persönlichen Zeugenaussage zwingen. Das Gericht könne jedoch jederzeit eine audiovisuelle Vernehmung veranlassen.
Möglicherweise habe das Landgericht mit der beabsichtigten persönlichen Zeugenvernehmung auch gegen das Willkürverbot verstoßen, betonten die Verfassungsrichter. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass das Gericht den Antrag auf eine audiovisuelle Vernehmung auch abgelehnt habe, weil die Videoübertragungsanlage des Gerichts bereits seit Jahren defekt ist. Dies sei jedoch eine „sachfremde Erwägung“ und dürfe nicht zulasten der Zeugin gehen.
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