ZIVILRECHT
Vater von Missbrauchsopfer erlitt psychische Störung
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Schadensersatz wegen eines Schockschadens. © Marcus Hofmann - stock.adobe.com
Karlsruhe (jur). Werden Eltern wegen des sexuellen Missbrauchs ihres Kindes psychisch krank, können sie von dem Täter Schmerzensgeld für die erlittene Gesundheitsbeeinträchtigung verlangen. Der „Schockschaden“ der Eltern muss aber Krankheitswert haben und auf die Gewalttat zurückgehen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Dienstag, 10. Januar 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: VI ZR 168/21). Für einen Schmerzensgeldanspruch sei es aber nicht mehr erforderlich, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung der Eltern über das hinausgehen muss, was Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel erleiden.
Hintergrund des Rechtsstreits war der sexuelle Missbrauch der Tochter des Klägers im Alter von fünf und sechs Jahren. Der Täter wurde deshalb rechtskräftig verurteilt. Zwar waren bei dem Mädchen keine psychischen Belastungen infolge der Tat erkennbar. Bei dem Vater des Kindes sah dies jedoch anders aus. Als er von dem Missbrauch erfuhr, entwickelte er eine psychische Störung, verbunden mit depressiven Symptomen, Ängsten, sozialem Rückzug und eine erheblich eingeschränkte Konzentrations- und Antriebsfähigkeit. Er war von Juni 2015 bis August 2016 arbeitsunfähig.
Der Vater verlangte wegen des erlittenen „Schockschadens“ und der damit verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigung von dem Sexualstraftäter Schmerzensgeld. Das Landgericht Lüneburg und das Oberlandesgericht (OLG) Celle sprachen dem Vater 4.000 Euro Schmerzensgeld zu.
Der BGH verwies das Verfahren mit seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 6. Dezember 2022 zwar an das OLG zurück. Allerdings habe der Kläger wegen eines erlittenen Schockschadens infolge des sexuellen Missbrauchs dem Grunde nach Anspruch auf ein Schmerzensgeld. Auch „psychische Störungen von Krankheitswert“ könnten eine Gesundheitsverletzung sein, für die Schmerzensgeld geltend gemacht werden könne.
Die Karlsruher Richter senkten die Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch ab und erleichterten damit, Schmerzensgeld infolge eines Schockschadens einfordern zu können. Nach bisheriger Rechtsprechung habe die psychische Störung nicht nur einen Krankheitswert haben müssen, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen mussten gleichzeitig über dem hinausgehen, was Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel erleiden. Daran halte der Senat aber nicht mehr fest, so der BGH.
Es könne ausreichen, dass die psychische Beeinträchtigung Krankheitswert aufweist und eine rechtswidrige Tat gegenüber einem Angehörigen zu einem Schockschaden geführt hat. Der Sachverständige habe dies hier bei dem Vater auch festgestellt. Allerdings habe das OLG bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe fehlerhaft nicht berücksichtigt, dass der Kläger bereits vor der Tat psychisch angeschlagen war. Dies müsse neu geprüft werden.
Bereits am 21. Mai 2019 hatte der BGH geurteilt, dass auch nach einem medizinischen Behandlungsfehler Kliniken und Ärzte unter Umständen für die Folgen eines psychischen Schocks haften müssen, die nahe Angehörige wegen des Fehlers erleiden (Az.: VI ZR 299/17). Es könne eine „hinreichende Gewissheit“ genügen, dass die psychischen Schäden des Angehörigen auf die „Verletzungshandlung“ gegenüber dem Patienten zurückgehen.
Nach einem Urteil vom 20. Mai 2014 haften Ärzte aber nicht, wenn sie Angehörige über eine schwere Krankheit des Patienten informieren und die Angehörigen dadurch einen Schock erleiden (Az.: VI ZR 381/13 vom 11. Juni 2014)
Erforderlich für Schadenersatzansprüche wegen eines Schockschadens ist nach der BGH-Rechtsprechung immer eine enge menschliche Nähe zwischen dem ursprünglich Geschädigten und dem Schockopfer. Der Unfalltod eines Hundes kann dagegen nach einem BGH-Urteil vom 20. März 2012 grundsätzlich keine Schadenersatzansprüche auslösen (Az.: VI ZR 114/11).
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock