WETTBEWERBSRECHT
Werbung eines Anwalts mit der Bezeichnung „Spezialist für Verkehrsrecht“ im Briefkopf
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Ein Rechtsanwalt, der auf seinem Briefkopf die Bezeichnung als
„Spezialist für Verkehrsrecht“ führte (Beschwerdeführer; Bf), hatte mit
seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen das berufsrechtliche Verbot
dieser Selbstbezeichnung vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die 2.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den
angegriffenen Beschluss des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs
aufgehoben. Dieser Beschluss und der Bescheid der Rechtsanwaltskammer
verletzen den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 des
Grundgesetzes. Die Sache wurde an den Anwaltsgerichtshof
zurückverwiesen.
1. Zum Sachverhalt:
Der Bf ist seit über 40 Jahren als Rechtsanwalt zugelassen und Mitglied
einer Anwaltssozietät. Er beschäftigt sich jahrzehntelang in zahlreichen
Funktionen rechtstheoretischer wie -praktischer Art mit dem Gebiet des
Verkehrsrechts. Der Bf wollte diese Spezialisierung im Verkehrsrecht
Rechtsuchenden deutlich machen. Er teilte der für ihn zuständigen
Rechtsanwaltskammer mit, dass er sich künftig als „Spezialist für
Verkehrsrecht“ bezeichnen werde, da es eine Fachanwaltschaft für
Verkehrsrecht bislang nicht gebe. Die Angabe von Interessen- und
Tätigkeitsschwerpunkten sei nicht ausreichend, seine tatsächlich
vorhandene Spezialisierung nach außen kund zu tun. Der Bf wurde durch
die Rechtsanwaltskammer zur Unterlassung der Selbstbezeichnung als
Spezialist auf dem Briefkopf aufgefordert. Rechtsmittel blieben ohne
Erfolg. Der Begriff Spezialist sei missverständlich und weiche von den
gesetzlich vorgegebenen Begrifflichkeiten ab. Mit seiner Vb rügt der Bf
im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.
2. Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist den
Angehörigen der freien Berufe nicht jede, sondern lediglich die
berufswidrige Werbung verboten. Berufswidrig ist Werbung, die nicht
interessengerecht und sachangemessen informiert. Einschränkende
staatliche Maßnahmen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die
ihrerseits den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende
Gesetze genügen muss.
Nach den werberechtlichen Vorschriften der Berufsordnung für
Rechtsanwälte sind dem Anwalt alle Informationen über seine
Dienstleistungen und seine Person erlaubt, soweit die Angaben sachlich
unterrichten und berufsbezogen sind. Jedoch darf er nur in
Praxisbroschüren, Rundschreiben und anderen vergleichbaren
Informationsmitteln zur Bewerbung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
auch über anderes als über Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte sowie
Fachanwaltsbezeichnungen informieren. Diese die
Informationsmöglichkeiten einschränkenden Regelungen sind nach ihrem
Wortlaut zu restriktiv gefasst. Weder sind sie zur Erreichung der
hiermit verfolgten Gemeinwohlzwecke erforderlich, noch sind sie
verhältnismäßig.
Die werberechtlichen Vorschriften sollen die Unabhängigkeit des
Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sichern. Verboten werden können
Werbemethoden, die Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich
am Gewinn orientierten Verhaltens sind, sowie insbesondere diejenige
Werbung, die den Rechtsuchenden in die Irre führen kann. Sofern jedoch
zutreffende Angaben über die spezielle Qualifikation des Anwalts in
sachlicher Form erfolgen und die Angaben nicht irreführend sind, lässt
sich ein Verbot der Selbstdarstellung nicht von Verfassungs wegen
rechtfertigen. Auch ein zur Selbstdarstellung gewähltes Medium kann für
sich betrachtet nicht die Unzulässigkeit der Werbung begründen.
Die die Informationsmöglichkeiten einschränkenden Vorschriften der
Berufsordnung der Rechtsanwälte sind nur bei entsprechender Auslegung
verfassungskonform. Auch bei der Wahl anderer als der in den
Vorschriften der Berufsordnung genannten Medien wie etwa
Praxisbroschüren und Rundschreiben ist lediglich eine berufswidrige
Werbung unzulässig. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen
Abwägung ist das Informationsinteresse der rechtsuchenden Bevölkerung
mit den Belangen der Rechtspflege in Ausgleich zu bringen. Vorliegend
ist zweifelhaft, ob die in der Berufsordnung zur Verfügung gestellten
Merkmale und Begriffe diesem Informationsinteresse auf Seiten der
Nachfrager und der Leistungserbringer gerecht werden. Denn die
abgestufte Information über Interessenschwerpunkt, Tätigkeitsschwerpunkt
und Fachanwalt ist überhaupt nur dort aussagekräftig, wo es eine
Fachanwaltschaft gibt. Fachanwälte sind aber nicht notwendig
Spezialisten. Angesichts der Weite der Tätigkeitsfelder, für die
Fachanwaltschaften eingerichtet sind, und der Fülle der Schwerpunkte,
die nebeneinander geführt werden dürfen, wird insoweit keine
Spezialisierung vorausgesetzt. Mit der Außendarstellung als Spezialist
wehrt ein Anwalt zugleich die Inanspruchnahme in sonstigen Materien
weitgehend ab. Die damit verbundene dauerhafte Einengung der
Berufstätigkeit kann mit den Begriffen des Schwerpunkts oder der
Fachanwaltsbezeichnung nicht ausgedrückt werden.
Diesen Grundsätzen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht
gerecht. Die Grenze zwischen verbotenen und erlaubten Handlungsformen
haben im Einzelfall die Fachgerichte unter Abwägung des Grundrechts auf
Berufsausübungsfreiheit mit den Zwecken des Werbeverbots zu ziehen. Hier
ist nicht ersichtlich, dass Rechtsuchende dadurch in die Irre geführt
werden könnten, dass der Bf sich auch auf seinem Briefkopf und nicht nur
in Faltblättern, im Internet oder in Kanzleibroschüren als
Verkehrsrechtsspezialisten bezeichnet. Eine Verwechslung mit einer
Fachanwaltsbezeichnung ist nicht möglich, da es einen Fachanwalt für
Verkehrsrecht nicht gibt. Eine Irreführungsgefahr bestünde, wenn der Bf
tatsächlich im allgemeinen Wortsinn kein Spezialist wäre. Dies wird hier
jedoch nicht geltend gemacht. Dem kundigen Rechtsuchenden ist auch
zuzutrauen, dass er die im Gesetz gewählten Begriffe – Schwerpunkt oder
Fachanwalt – nicht mit anderen, wie etwa dem Spezialistenbegriff,
gleichsetzt. Das ist hier aber nicht entscheidend. Bestünde tatsächlich
Verwechslungsgefahr, käme es nicht mehr auf das Medium an, in dem der
irreführende Ausdruck verwandt wird.
Dem Bf wurde zwar zugestanden, den Begriff des Spezialisten in
Praxisbroschüren, Rundschreiben und anderen vergleichbaren
Informationsmitteln wie etwa dem Internet zu nutzen. Das Gewicht der
verbleibenden Werbebeschränkung bleibt dennoch gemessen am Grundrecht
der Berufsausübungsfreiheit ungerechtfertigt. Vorliegend fehlt es schon
an konkret benennbaren Gemeinwohlbelangen, die die grundsätzlich
bestehende Informationsfreiheit von Anbieter und Nachfrager
zulässigerweise einzuschränken vermögen.
Beschluss vom 28. Juli 2004 – 1 BvR 159/04 –
Karlsruhe, den 12. August 2004