EUROPARECHT
Kindeswohl zählt mehr als Kindesentführung durch Mutter
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Straßburg (jur). Entführt ein Elternteil sein Kind ins Ausland, dürfen Behörden und Gerichte bei Hinweisen einer Kindeswohlgefährdung dieses nicht einfach zum anderen Elternteil wieder zurückbringen. Einer mit einer Rückkehr verbundenen möglichen Gefahr körperlicher und seelischer Schäden muss erst einmal nachgegangen werden, urteilte am Dienstag, 26. November 2013, die große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg (Az.: 27853/09). Das Kindeswohl ist damit höher zu bewerten, als die Unrechtmäßigkeit der Kindesentführung.
Im entschiedenen Rechtsstreit hatte eine in Australien lebende Mutter ihre dreieinhalb Jahre alte Tochter im Juli 2008 in ihre ursprüngliche Heimat nach Lettland entführt. Der Vater, ein Australier, wollte dies nicht hinnehmen und suchte Hilfe bei Behörden und Gerichten.
Er habe von Anfang an elterliche Verantwortung für seine Tochter übernommen. Das Kind sei ohne seine Zustimmung nach Lettland entführt worden. Er berief sich dabei auf das Haager „Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“. Dieses internationale Abkommen soll die sofortige Rückgabe von widerrechtlich entführten Kindern sicherstellen.
Die australischen Gerichte gaben dem Vater recht und forderten die lettischen Behörden auf, das Kind wieder nach Australien zurückzuführen.
Ohne Erfolg wies die Mutter auf die engen Bindungen des Kindes zu Lettland hin. Die Frau führte zudem ein Gutachten an, nach dem das Kind bei einer Rückkehr nach Australien und der damit verbundenen Trennung von der Mutter ein Trauma erleiden könne.
Als die lettischen Gerichte schließlich die Rückführung des Kindes veranlassten, zog die Mutter ebenfalls wieder nach Australien.
Ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sei von den lettischen Behörden und Gerichten missachtet worden, rügte sie beim EGMR. Diese hätten die Rückführung ihrer Tochter veranlasst, ohne das psychologische Gutachten über die Auswirkungen auf das Kindeswohl ausreichend geprüft zu haben.
Die Straßburger Richter gaben der Frau nun recht. Gebe es Hinweise, dass eine Rückführung seelische Schäden zur Folge haben kann, müssen Behörden und Gerichte dem auch nachgehen. Auch wenn das Haager Übereinkommen die sofortige Rückgabe von widerrechtlich entführten Kindern sicherstellen will, hätten die lettischen Behörden trotzdem die Pflicht, die Auswirkungen auf das Kindeswohl zu überprüfen.
Der EGMR urteilte, dass Lettland wegen der unterlassenen Prüfung das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt hat. Der Mutter sprachen die Straßburger Richter eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro zu.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage