SOZIALRECHT
Posttraumatischen Belastungsstörung kann eine Berufskrankheit sein
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Posttraumatischen Belastungsstörung kann eine Berufskrankheit sein © Symbolgrafik:© benjaminnolte - stock.adobe.com
Kassel. Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann jedenfalls bei Rettungssanitätern als Berufskrankheit anerkannt werden. Das entschied am Donnerstag, 22. Juni 2023, der Unfallsenat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel (Az.: B 2 U 11/20 R). Erstmals erkannte er damit eine psychische Erkrankung als Berufskrankheit an. In neuer Rechtsprechung stützte sich das BSG dabei auf internationale Klassifizierungsschlüssel für Krankheiten. Den konkreten Fall verwies es allerdings an die Vorinstanz zurück.
Geklagt hatte ein früherer Rettungssanitäter beim Roten Kreuz im Landkreis Esslingen bei Stuttgart. Er war 2016 zusammengebrochen. Anschließend wurde eine PTBS diagnostiziert. Diese Erkrankung bedeutet, dass sich Bilder, Eindrücke und Gefühle immer wieder unkontrolliert in das Bewusstsein drängen. Am Rande der Verhandlung sagte der Kläger, dies sei bei ihm bis heute so und führe zu zitternden Händen und schlaflosen Nächten. Er beziehe mittlerweile eine volle Erwerbsminderungsrente.
Bei seiner Klage hatte er auf zahlreiche psychisch belastende Ereignisse verwiesen. Darunter war ein Einsatz beim Amoklauf 2009 in Winnenden und Wendlingen, bei dem 16 Menschen starben. Unter mehreren Selbstmorden waren zwei jugendliche beste Freundinnen. Die erste nahm sich 2014 durch Selbstenthauptung das Leben, die zweite folgte ihr am „Jahrestag“ 2015 auf ähnlich grausame Weise in den Tod.
Die Unfallversicherung Bund und Bahn erkannte eine Berufskrankheit nicht an. Es gebe keine gesicherten Erkenntnisse, dass die wiederholte Konfrontation mit solchen Ereignissen geeignet sei, eine PTBS auszulösen.
In die Liste anerkannter Berufskrankheiten wurde bis heute keine psychische Erkrankung aufgenommen. Möglich ist laut Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen aber auch die Anerkennung anderweitiger Erkrankungen als sogenannte „Wie-Berufskrankheiten“.
Über die Klage des Rettungssanitäters hatte das BSG bereits 2021 verhandelt und zur Abklärung einer Wie-Berufskrankheit ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachter stellte fest, dass das Risiko einer PTBS bei Rettungssanitätern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung fast siebenfach erhöht ist. Besonders belastend seien erfolglose Rettungsmaßnahmen und die Bergung schwerverletzter oder toter Kinder.
Bei der Verhandlung in Kassel bezweifelte die Vertreterin der Unfallversicherung Bund und Bahn, dass diese international erhobenen Ergebnisse auf Rettungssanitäter in Deutschland übertragbar seien.
Nach der nun neuen Rechtsprechung unter neuem Vorsitz des BSG-Unfallsenats reicht eine überdurchschnittliche Belastung einer Berufsgruppe mit traumatisierenden Ereignissen aber aus. Darauf, ob dies auch überdurchschnittliche oft zu einer Erkrankung führt, komme es auch bei einer Wie-Berufskrankheit nicht mehr an.
Stattdessen stützten sich die Kasseler Richter auf internationale Diagnoseschlüssel, neben dem ICD der Weltgesundheitsorganisation hier insbesondere auch das US-amerikanischen Klassifizierungssystem DSM. An dessen Entwicklung seien in den USA auch die Fachgesellschaften beteiligt gewesen. Danach sei fest davon auszugehen, dass eine nach traumatisierenden Ereignissen auftretende PTBS auch auf diese Ereignisse zurückgeht.
„Rettungssanitäter sind während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt“, betonten der BSG-Unfallsenat. Nach dem in die Diagnoseschlüssel einfließenden Stand der Wissenschaft reiche dies „abstrakt-generell“ als Beleg für den bei einer Berufskrankheit notwendigen Ursachenzusammenhang aus.
In dem konkret verhandelten Fall war nie bestritten worden, dass der Rettungssanitäter unter einer PTBS leidet. Gerichtlich bindend festgestellt war dies bislang allerdings noch nicht. Ebenso fehlen Feststellungen, ob es gegebenenfalls auch „konkurrierende“ private Ereignisse gab, die ebenfalls die PTBS hätten auslösen können. Diese Feststellungen soll nun das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart noch nachholen.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock