ZIVILRECHT
Zur Zulässigkeit eines unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Ein Strafgefangener (Beschwerdeführer; Bf), der sich gegen die
Zurückweisung seiner unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz
zustandegekommenen Rechtsbeschwerde als unzulässig wehrte, hatte mit
seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den angegriffenen Beschluss des
Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg aufgehoben, weil er den Bf in seinem
Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verletzt. Die Sache wird
an das OLG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Zum Sachverhalt:
Der Bf war im Haftraum eines Mitgefangenen angetroffen worden, bei dem
Haschisch gefunden wurde. Um den Verdacht unerlaubten Drogenkonsums
abzuklären, wurde er zur Abgabe einer Urinprobe aufgefordert. Er
weigerte sich. Deshalb wurde unter anderem gegen ihn als
Disziplinarmaßnahme ein fünftägiger Arrest festgesetzt und vollzogen. Er
begehrte die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der
Disziplinarmaßnahme. Das OLG wies seine Rechtsbeschwerde als unzulässig
zurück. Bei der Anfertigung der Beschwerdeschrift sei mit Wissen des Bf
ein Mithäftling unerlaubt rechtsberatend tätig geworden. Mit seiner
hiergegen gerichteten Vb macht der Bf vor allem eine willkürliche
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes geltend.
In den Gründen der Entscheidung heißt es:
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen möglichst lückenlosen
gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtsphäre des Einzelnen
durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Eine gerichtliche
Sachentscheidung darf nicht ohne nachvollziehbaren Grund versagt werden.
Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts
vor allem auch darauf zu achten, dass der Zugang zu den Gerichten allen
Bürgern auf möglichst gleichmäßige Weise eröffnet wird.
Nach diesem Maßstab ist die Entscheidung des OLG verfassungswidrig.
Verstöße gegen die Verbote und Gebote des Rechtsberatungsgesetzes werden
als Ordnungswidrigkeit geahndet. Eine Beschneidung der
Rechtsschutzmöglichkeiten des rechtssuchenden Bürgers ist nicht
vorgesehen. Ordnungswidrig handelt zudem nicht derjenige, der die
unerlaubte Rechtsbesorgung lediglich in Anspruch nimmt und sich in
seinen Rechtsangelegenheiten helfen lässt, selbst wenn dies in Kenntnis
des an den Anderen gerichteten Verbots geschieht. Das
Rechtsberatungsgesetz schützt den Rechtssuchenden. Mit dieser
Schutzrichtung ist es nicht vereinbar, wenn das OLG an Verstöße gegen
das Rechtsberatungsgesetz prozessrechtliche Folgerungen zu Lasten
desjenigen knüpft, der die untersagte Rechtshilfeleistung in Anspruch
genommen hat.
Auch die Annahme, dass die rechtsberatende Tätigkeit des Mitinhaftierten
geeignet sei, Abhängigkeiten und Autoritätsstrukturen entstehen zu
lassen, die in ihren Auswirkungen den Vollzugszweck und die Sicherheit
und Ordnungen der Justizvollzugsanstalt gefährden könnten, führt zu
keiner anderen Beurteilung. Verbotener Rechtsberatung und deren
Auswirkungen auf den Strafvollzug kann mit den Instrumenten des
Strafvollzugsgesetzes - ggf. auch mit disziplinarischen Maßnahmen -
entgegengetreten werden.
Die weitere Erwägung des OLG, dass es andernfalls zur Beihilfe zu einer
gesetzwidrigen Handlung genötigt würde, ist nicht tragfähig. Zum einen
kennt das Ordnungswidrigkeitenrecht nur die täterschaftliche Begehung
einer Ordnungswidrigkeit. Zum anderen werden die Pflichten des Gerichts
im Zusammenhang mit der Gewährung von Rechtsschutz in erster Linie durch
das Prozessrecht bestimmt. Muss das Gericht aufgrund des Prozessrechts
einen Antrag rechtlich prüfen, so erfüllt es seine Rechtspflicht zur
Gewährung von Rechtsschutz und beteiligt sich nicht an einem
Rechtsverstoß. Die Rechtfertigung für die Behandlung eines bei Gericht
gestellten Antrags als unzulässig kann nur dem Prozessrecht entnommen
werden. Dieses kennt keinen Grundsatz, wonach nur rechtmäßig
zustandegekommene Anträge zulässig sind. Ein solcher Grundsatz folgt
auch nicht aus dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte. Mag die
Rechtsbeschwerde des Bf auch unter Verstoß gegen das
Rechtsberatungsgesetz zustandegekommen sein, so verfolgt sie dennoch ein
sachliches, dem Zweck des Verfahrens entsprechendes Anliegen und nicht
wie im Falle eines Missbrauchs gezielt verfahrensfremde oder
verfahrenswidrige Zwecke.
Beschluss vom 23. Dezember 2003 – Az. 2 BvR 917/03 –
Karlsruhe, den 28. Januar 2004