RECHT ALLGEMEIN
Aktuelle Rechtsprechung zum Verhältnis Kindergeld und ALG II
Autor: Herr Paul Witkowski - Dolmetscher (beeidigt) und Übersetzer (ermächtigt)
Der Fall:
Die Familienkasse hob das Kindergeld gem. § 70 Abs.2 EStG auf.
Kindergeld war jedoch für einen früheren Zeitraum überzahlt worden, weil die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr gegeben waren.
Der Adressat des Rückforderungsbescheides bezüglich überzahltem Kindergeld erhielt zugleich ALG II Leistungen (Hartz 4). Nun beantragte er die Neuberechnung der Leistungen für den Zeitraum, für den ihm Kindergeld rückwirkend versagt wurde. Er wollte also eine rückwirkende Höherstufung von ALG II erreichen.
Das JobCenter kam dieser Forderung nicht nach.
Das Sozialgericht gab dem ALG II Empfänger in seinem Urteil vom 31.03.2009 (Aktenzeichen S 8 AS 61/08) Recht. Das Gericht führte dazu folgendes aus:
"(...) Entscheidungserheblich ist, ob im Zeitpunkt des Zuflusses die Rückzahlungsverpflichtung eindeutig festgestellt werden kann.
Hier war das dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum ausgezahlte Kindergeld bereits mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Kläger bereits keinen Anspruch mehr auf Kindergeld. Mit dieser Rückzahlungsverpflichtung war das ausgezahlte Kindergeld bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung belastet und stand daher dem Kläger unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zur Deckung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung. Unerheblich ist, dass die Familienkasse die Rückzahlungsverpflichtung erst durch einen späteren, nach Ablauf der streitgegenständlichen Bewilligungszeiträume erlassenen Bescheid konkretisiert hat."
Doch nun kommt die Kehrtwende in der Rechtsprechung des Sozialgerichts. In einem identisch gelagerten Fall entscheidet das Gericht anders.
Mit dem Urteil vom 18.01.2011 stellt das Sozialgericht Detmold (Aktenzeichen S 18 AS 201/09) nunmehr fest:
"(...) In den jeweiligen Monaten stand das Kindergeld als tatsächlicher Einkommenszufluss zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Wenn die Kindergeldbewilligung im Nachhinein aufgehoben wird und die Familienkasse die Erstattung verlangt, ändert dies nichts an der Tatsache, dass das Kindergeld ursprünglich verfügbares Einkommen war.
Einkommen im Sinn des SGB II ist alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält (BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R). Es kommt nicht auf die Herkunft und Rechtsgrundlage der Einnahmen an. Entscheidend ist der tatsächliche Zufluss und ob die Mittel tatsächlich zum Bestreiten des Lebensunterhaltes eingesetzt werden können (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.07.2008, L 13 AS 97/08 ER).
Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Kindergeld um Einkommen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im Fall eines Darlehens die finanziellen Mittel aus dem Darlehen nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 17.06.2010, B 14 AS 46/09 R) nicht im Rahmen der SGB II-Leistungen Anrechnung als Einkommen finden dürfen.
Denn ein "echtes Darlehen" zeichnet sich dadurch aus, dass die zugeflossenen finanziellen Mittel von Anfang an nicht dauerhaft beim Darlehensnehmer verbleiben, sondern der Darlehensnehmer bereits anfänglich mit der Rückzahlungsverpflichtung aus dem Darlehensvertrag belastet ist, § 488 Abs.1 Satz 2 BGB.
Im Fall der Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen war die Zahlung des Kindergeldes zunächst jedoch ohne Rückzahlungsverpflichtung erfolgt. Die Erstattungspflicht ergab sich jedoch erst aufgrund eines späteren Erstattungsbescheides der Familienkasse. Die nachträgliche Erstattungsforderung kann jedoch nicht mehr den ursprünglichen tatsächlichen Zufluss im Monat des Bedarfes beeinflussen."
Fazit:
Da der Betroffene das Kindergeld ursprünglich tatsächlich erhalten hat, ist es gemäß § 11 SGB II auf seinen Bedarf anzurechnen.
Die nachträgliche Rückforderung des Kindergeldes durch die Familienkasse ändert nichts daran, da das Kindergeld im streitigen Zeitraum tatsächlich monatlich zur Verfügung gestanden hat. Bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II-Leistungen sind immer die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bedürftigkeit zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass bei der Berechnung der Leistungen das jeweils tatsächlich vorhandene Einkommen angerechnet werden muss. Eine nachträgliche Rückforderung der Familienkasse hat keinen Einfluss auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld II in der Vergangenheit, da das Kindergeld damals ausgezahlt worden ist.
Dipl.-Jur. Paul Witkowski
Am Plessenfelde 8, 30659 Hannover
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