SOZIALRECHT
Stärkung des Rechts auf Beratungshilfe für mittellose Menschen
Experten-Branchenbuch.de,
zuletzt bearbeitet am:
Karlsruhe. Mittellose Menschen müssen sich bei Streitigkeiten mit dem Jobcenter auch außergerichtlich verteidigen und bei komplexen Rechtsfragen einen Anwalt hinzuziehen können. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat mit einem am Dienstag, 24. Mai 2022, veröffentlichten Beschluss entschieden, dass die Verweigerung der staatlichen Beratungshilfe zur Finanzierung des Rechtsanwalts einen Verstoß gegen den Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit darstellt (Az.: 1 BvR 1370/ 21). Es sei nicht zumutbar, einen Bedürftigen zur Beratung ins Jobcenter zu schicken, das einen streitigen Bescheid erlassen hat.
Im vorliegenden Fall geht es um einen Hartz-IV-Empfänger aus Kaufbeuren. Er erhielt zu viel Arbeitslosengeld II, weil er ein Betriebskostenguthaben erhielt. Anstatt die Betriebskosten einmalig in einem Monat zu berücksichtigen, verteilte das Jobcenter diese sechs Monate und kürzte das Arbeitslosengeld II entsprechend für ein halbes Jahr.
Der Hartz-IV-Empfänger fragte sich, ob das Jobcenter die Erstattungsforderung auf sechs Monate verteilen darf. Für seinen Widerspruch wollte er anwaltlichen Rat einholen. Er beantragte beim Amtsgericht Kaufbeuren staatliche Beratungshilfe, um die Anwaltskosten bezahlen zu können.
Vom Amtsgericht wurde der Antrag als „mutwillig“ abgelehnt. Für seinen Widerspruch könne der Mann zum Jobcenter gehen, das den Bescheid erlassen hat. Die Behörde sei zur Beratung gesetzlich verpflichtet. Auch ohne die Hilfe eines Anwalts könne er einen Widerspruch gegen den Bescheid anfertigen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied am 4. April 2022, dass die Verfassungsbeschwerde, die dagegen eingelegt wurde, „offensichtlich begründet“ ist. Bei dem Hartz-IV-Empfänger liege eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtswahrnehmungsgleichheit vor. Dieser Anspruch sehe vor, dass sowohl mittellose als auch bemittelte Bürger, ihre Rechte in gleicher Weise durchsetzen können.
Mittellose Menschen, die außergerichtlichen Rat suchen, können mit der staatlichen Beratungshilfe einen Rechtsanwalt bezahlen. Ein Anspruch bestehe, wenn der Ratsuchende keine ausreichenden Rechtskenntnisse besitze und es sich um komplexe Rechtsfragen handelt. Die Beratungshilfe dürfe dann nicht mit der Begründung als „mutwillig“ verweigert werden, wie es hier der Fall ist.
Es handele sich um eine rechtlich komplexe Frage, ob das Jobcenter das Arbeitslosengeld II für sechs Monate wegen einer Erstattungsforderung kürzen kann. Auch durfte der Beschwerdeführer nicht zur Beratung an Jobcenter verwiesen werden, da dieses selbst die umstrittene Entscheidungen getroffen hat.
Bereits am 7. Oktober 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht ähnlich zur Beratungshilfe entschieden (Az. 1 BvR 1962/11). Ein Amtsgericht muss danach prüfen, ob zumindest für eine sorgfältige Begründung eines Widerspruchs Hilfe eines Anwalts sinnvoll ist. Gewährung von Beratungshilfe sei dann angebracht.
Quelle: © Experten-Branchenbuch.de