ERBRECHT
Pflichtteil und Pflichtteilsanspruch im Erbrecht
Autor: Alexander Grundmann - Rechtsanwalt
Wenn der Erblasser nicht durch Verfügung von Todes wegen seine Erben bestimmt, werden seine nächsten Verwandten und der Ehegatte kraft Gesetzes seine gesetzlichen Erben. Durch Testament oder Erbvertrag können die gesetzlichen Erben aber recht unkompliziert enterbt werden, indem einfach eine andere Erbfolge bestimmt wird.
Diese Freiheit des Testierenden, über sein Vermögen auch für den Todesfall frei zu bestimmen, wird aber durch das Gesetz eingeschränkt. Das Bürgerliche Gesetzbuch schützt das Recht der gesetzlichen Erben auf einen Mindestanteil. Bestimmte nahe Angehörige erhalten zum Ausgleich für die Enterbung ein Pflichtteilsrecht.
Das Pflichtteilsrecht bezweckt damit aber nicht den Unterhalt bedürftiger naher Angehöriger, sondern beruht auf der starken eigentumsrechtlichen Stellung der gesetzlichen Erben und ist damit Teil der Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes. Das Pflichtteilsrecht steht unter Verfassungsschutz (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2005, 1 BvR 1644/00. Ein naher Angehöriger kann zwar enterbt werden, aber einen Mindestanteil am Vermögen des Erblassers, der Pflichtteil muss ihm verbleiben. Auf die Bedürftigkeit der Pflichtteilsberechtigten kommt es deshalb für das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs auch nicht an.
Allerdings kann ein gesetzlicher Erbe freiwillig im Rahmen eines notariellen Vertrages mit dem Erblasser sowohl auf sein Erbe als auch nur auf seinen Pflichtteil verzichten, § 2346 BGB.
Was ist ein Pflichtteil?
Der Pflichtteil ist ein Mindestanspruch von gesetzlichen Erben, den der Erblasser grundsätzlich nicht entziehen kann. Da der Pflichtteilsberechtigte von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde, wird er nicht Erbe. Sein Anspruch richtet sich daher auch nicht auf einen Teil am Erbe, sondern er hat einen Ausgleichsanspruch gegen die Erben auf Zahlung einer Geldsumme.
Ein Anspruch auf den Pflichtteil kann daher nur bestehen, wenn der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen seine nächsten Verwandten enterbt. Gibt es keine letztwillige Verfügung, gilt die gesetzliche Erbfolge. Dann kann es keine Pflichtteile geben.
Wer hat ein Pflichtteilsrecht?
Grundlage des Pflichtteilsrechts ist die Verwandtschaft oder die eheliche oder eingetragene Partnerschaft mit dem Verstorbenen. Das Pflichtteilsrecht sichert dem Ehegatten oder dem eingetragenen Lebenspartner und den Abkömmlingen des Erblassers, also den Kindern, Enkeln, Urenkeln, aber auch dessen Eltern, für den Fall der Enterbung eine Mindestbeteiligung am Nachlass, § 2303 BGB. Andere Angehörige, wie Geschwister oder Großeltern, haben kein Pflichtteilsrecht. Die Eltern des Verstorbenen und entferntere Abkömmlinge (wie Enkel) sind dann nicht pflichtteilsberechtigt, wenn es nähere Abkömmlinge gibt, § 2309 BGB, Da sie auch bei gesetzlicher Erbfolge durch die näheren Verwandten ausgeschlossen würden.
Nur ausnahmsweise besteht kein Pflichtteilsanspruch, wenn der Berechtigte wirksam auf den Pflichtteil verzichtet hat oder pflichtteilsunwürdig ist oder der Erblasser ihm den Pflichtteil entzogen hat, weil er sich besonders schwerer Verfehlungen gegen ihn schuldig gemacht hat. Ein Pflichtteilsanspruch steht auch demjenigen Verwandten nicht zu, der die Erbschaft ausgeschlagen hat. Der Ehegatte hingegen darf das Erbe ausschlagen und erhält dann neben seinem Zugewinn aus der Ehe auch einen Pflichtteil.
Der Pflichtteilsberechtigte ist nicht verpflichtet, seinen Pflichtteil geltend zu machen. Auch Gläubiger des Pflichtteilsberechtigten können ihn nicht dazu zwingen. Privilegiert sind die Träger der Sozialhilfe: gemäß § 93 I SGB XII können Sie durch schriftliche Anzeige an den Erben erreichen, dass der Pflichtteilsanspruch bis zur Höhe der Sozialleistungen auf den Träger der Sozialhilfe übergeht.
Wie hoch ist der Pflichtteil?
Der Pflichtteil besteht quotal in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.
Beim enterbten Ehegatten ist die Berechnung des gesetzlichen Erbteils und damit der Pflichtteilsquote komplizierter, weil sie von ehelichen Güterstand (entweder Zugewinngemeinschaft oder Gütertrennung oder Gütergemeinschaft) und dem Verwandtschaftsgrad der Erben zum Erblasser abhängen.
Zur Ermittlung des konkreten Pflichtteilsanspruchs hat der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Erben einen Anspruch auf Auskunft über die Höhe des Nachlasses, § 2314 BGB. Der Erbe muss ein Nachlassverzeichnis erstellen und dem Pflichtteilsberechtigten übermitteln. Der Auskunftsanspruch erstreckt sich auch auf Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten vorgenommen hat.
Wenn der Erbe schon keine Auskunft über den Nachlass gibt, kann er vom Pflichtteilsberechtigten auf Auskunft verklagt werden. Im Rahmen einer Stufenklage gemäß § 254 ZPO kann in einem Verfahren zuerst auf Auskunft und nach Erhalt der Auskunft auf Zahlung eines konkreten Betrages geklagt werden.
Da der Pflichtteilsanspruch auf die Zahlung einer Geldsumme gerichtet ist, kann im Einzelfall ein Pflichtteilsrecht sogar günstiger sein als ein Anteil am Erbe: Der Pflichtteilsberechtigte muss sich nicht mit den Miterben oder den Gläubigern des Verstorbenen ärgern und hat keinerlei Belastungen aus einem schwierigen oder schwer verwertbaren Erbe. Da es für die Bewertung des Nachlasses zur Berechnung des Pflichtteils auf den Verkehrswert zur Zeit des Erbfalles ankommt, hat auch ein Wertverfall des Erbes, der beispielsweise aus langwierigen Erbstreitigkeiten resultieren kann, keine Auswirkungen auf die Höhe des Pflichtteils.
Welche Risiken hat das Pflichtteilsrecht?
Die detaillierten Regelungen des Pflichtteilsrechts schaffen für den Testierenden viele Fallen. Deshalb muss bei der Nachfolgegestaltung möglichst früh fachkundige Beratung eingeholt werden. Wenn beispielsweise einem pflichtteilsberechtigtem Kind ein Grundstück oder ein größerer Geldbetrag zugewendet werden soll, sollten die Folgen auch in Hinblick auf den hoffentlich erst in vielen Jahrzehnten eintretenden Erbfall geklärt werden.
Auch Schenkungen zu Lebzeiten zur Umgehung des Pflichtteilsrechts haben nicht immer das gewünschte Ergebnis. Der Pflichtteilsberechtigte kann dann als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn man den verschenkten Gegenstand dem Nachlass hinzurechnet. Dies kann für den Erben verhängnisvoll sein, wenn der ihm verbliebene Nachlass weniger wert ist, als der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteils und er seine Haftung nicht auf das geerbte Vermögen beschränkt hat.
Auch bei der Wahl des Güterstandes bei Eheleuten ist das Pflichtteilsrecht mit zu bedenken, da beispielsweise der Gang in die Gütertrennung den Längerlebenden ein Viertel seines Erbteils kostet, was sich auch auf den Pflichtteil auswirkt.
Eine weitsichtige Planung dient somit nicht nur der Verwirklichung des letzten Willens des Testierenden, sondern auch dem Schutz der (Wunsch-)Erben. Wird das Pflichtteilsrecht nicht ausreichend vorab bedacht, dann sehen sich die Erben Pflichtteilsansprüchen ausgesetzt, die sie möglicherweise nicht erfüllen können, weil aus dem Erbe gar kein hoher Barbetrag gezahlt werden kann. Dann wird das Gegenteil des Erblasserwillens erreicht und das Erbe muss zerschlagen werden. Im Extremfall ist eine solche Forderung für den Erben existenzbedrohend, da er auch mit seinem eigenen Vermögen haftet. Da der Pflichtteilsanspruch grundsätzlich auch sofort zur Zahlung fällig ist, muss frühzeitig überlegt werden, wie solche ungewollten Härten, die sich aus der Enterbung ergeben, verhindert oder abgemildert werden können. Möglich wäre das Aushandeln eines Pflichtteilsverzichts des Pflichtteilsberechtigten oder der Abschluss einer Versicherung zugunsten des Erben.
Zu Gunsten des Erben, der den Pflichtteil bezahlen muss, gibt es seit Geltung der Pflichtteilsreformen ab dem 1. Januar 2010 eine Erleichterung. Gemäß § 2331 a BGB neue Fassung kann der Erbe eine Stundung des Pflichtteils Verlangen, wenn die sofortige Erfüllung der gesamten Ansprüche für ihn wegen der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte darstellen würde. Die Entscheidung über eine Stundung und deren Dauer trifft das Nachlassgericht auf Antrag des Erben.
Auch der Pflichtteilsberechtigte muss sich über seine Rechtsposition Klarheit verschaffen. Selbst wenn er den letzten Willen des Verstorbenen akzeptiert und an seinem Pflichtteil gar nicht interessiert ist, kann er verpflichtet sein, diesen Anspruch geltend zu machen. So hat im Unterhaltsrecht der Unterhaltsberechtigte, dem aus einer Erbschaft ein Pflichtteil zusteht, die Obliegenheit, diesen Pflichtteil auch einzufordern.
Die Gestaltung der Erbfolge ist von der Pflichtteilsproblematik nicht zu trennen. Wer seinen Wunscherben etwas Gutes tun will, muss das Pflichtteilsrecht berücksichtigen. Auch der testamentarische Erbe und der Pflichtteilsberechtigte müssen wegen der weit reichenden Folgen ihre Rechte und Pflichten kennen.
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